Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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komplexe abstrakte Erfahrungsrepräsentationen zu konstruieren, die der Intersubjektivität zuträglich sind, aber den Fokus des Kindes auf jene Dinge lenken, die sprachlich repräsentiert und kommuniziert werden können. Dieser Prozess bahnt der Entwicklung des verbalen Selbst den Weg. Jedes Selbstempfinden entspricht einem anderen Bereich der interpersonalen Erfahrung: dem Bereich der auftauchenden Bezogenheit, dem Bereich der Kern-Bezogenheit usw. Die unterschiedlichen Selbst- Wahrnehmungen und Bereiche der Bezogenheit bilden keine sukzessiven Phasen oder Stufen, die einander ersetzen oder subsumieren. Vielmehr entwickeln sie sich allesamt weiter und bleiben lebenslang erhalten. Mahlers und Sterns Erkenntnisse sowie die der späteren Entwicklungsforschung (Stern 1985; Pine 1986; Bergman 1999; Gergely 2000; Fonagy 2000) sind in die synthetische, integrative moderne freudianische Perspektive eingegangen, die durch Harold Blums Arbeit repräsentiert wird. Blum betonte insbesondere die multidimensionalen Differenzierungsprozesse als Voraussetzung für das Auftauchen des intrapsychischen Selbst und der Objektrepräsentation. Fortgeführt wurde die klinische und theoretische Integration mit den Konzeptualisierungen des Selbst in der Psychoanalyse von Kindern und Jugendlichen. VI. Dc. Das Selbst in der Psychoanalyse von Kindern Frances Tustin (1981) untersuchte die primitiven Entwicklungsstufen und arbeitete mit dem Konzept einer normalen autistischen Phase in der frühen Kindheit, das einen auf den Körper fokussierten, von Sensationen beherrschten Zustand definiert, der den mit einer relativ undifferenzierten Autosensualität verknüpften Kern des Selbst bildet. Tustin beschrieb, dass der Körper des Kindes und die körperlichen Empfindungen in dieser Phase die Grundlagen für die Entstehung eines körperlichen Selbst, das zur Basis der anschließenden Identitätsentwicklung wird, schaffen. In dieser Phase werden die zur äußeren Realität gehörenden Objekte einschließlich der Mutter in Form von Empfindungsobjekten, die zum Körper gehören, inkorporiert. Sie bilden die Vorläufer der anschließenden Beziehung des Neugeborenen zu Nicht-Selbst-Objekten, die als getrennt vom Körper wahrgenommen werden und an die das Kind sich anpassen muss. Tustin betont auch, dass das Kind das Gewahrsein eines von Anderen unterschiedenen und getrennten Selbst entwickelt haben muss, bevor es ein soziales Gewahrsein Anderer erwerben kann. Die Art und Weise, wie das Neugeborene diese Art von Gewahrsein erwirbt, ist für den Erwerb einer individuellen Identität maßgeblich. Die Sensualität des Neugeborenen im Zustand des normalen primitiven Autismus kombiniert sich mit der Anpassungsfähigkeit der Mutter im Zustand der primären Mütterlichkeit. Sie schützt das Kind in einer Art postnatalen Uterus vor den „Nicht-Ich-Erfahrungen“. Tustin formuliert ein autosensuelles Konstrukt, um zu beschreiben, dass das Kind die Mutter als Teil des eigenen Körpers erlebt. Die Fähigkeiten, die Neugeborene in dieser Phase durch die „Empfindungsobjekte“

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