Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Reaktionen, die sich Schicht um Schicht ansammeln, vorstellt, ist es gleichwohl notwendig, theoretisch und behandlungstechnisch zwischen den einzelnen Elementen zu unterscheiden. Unter bestimmten Umständen kann die klinische Entscheidung, auf den Objektcharakter einer Figur oder aber auf den Selbstanteil abzuheben, für den Patienten eine große Rolle spielen. Die Autorin illustriert solche klinischen Entscheidungen anhand ihrer Arbeit mit Träumen, in denen kritische und ablehnende autoritäre Gestalten zuerst Objektcharakter zu haben schienen (Bach et al. 2000); und obwohl man später u.U. feststellen kann, dass die Figuren Aspekte des Patienten-Selbst enthielten, würde sie sich zunächst für die Art des inneren mütterlichen Objekts interessieren. Alvarez erklärt, dass ihre Präferenz, die Autoritätsperson zuerst als inneres Objekt (und nicht als Selbstanteil) zu betrachten, davon abhängt, welchen Grad an Objektcharakter die Figur enthält. Später, wenn die Autoritätsfigur sich weiterentwickelt und eher gutartige Eigenschaften annimmt, könnte sie auch als Teil des Selbst betrachtet und erforscht werden. Wenn sie aber zunächst von Andersheit (Kritik, Ablehnung) angefüllt zu sein scheint, würde die Autorin zuerst ihre Motivationen erforschen. Auch Alvarez (1999) teilt das kleinianische Bild der Psyche als Behältnis einer inneren Welt von (mehr oder weniger gut integrierten) Aspekten des Selbst und verschiedener innerer Objekte. Aussagekräftig sind Beispiele von Kindern, deren Lernschwierigkeiten offenkundig durch Omnipotenz, Scham oder Verzweiflung verursacht werden und auf ein inneres Objekt zurückgehen, das sie für dumm oder anderweitig behindert halten, so dass die Kinder „auf dumm machen“, um dem Objekt sozusagen Gesellschaft zu leisten. Wenn das innere Objekt robuster, funktionsfähiger und intelligenter wird, können diese Kinder beginnen, ihre Intelligenz zu zeigen und zu benutzen. Nach Alvarez’ (2010; Alvarez und Lee 2004) Ansicht kann man kein Gefühl und keine Funktion ausschließlich im Rahmen einer Eine-Person-Psychologie begreifen. Es geht darum, auf welche Art von Objekt sich Gefühle richten, und dies hängt von verschiedenen Introjektions-, Internalisierungs- und Identifizierungsprozessen ab, die dadurch ihrerseits beeinflusst werden. Wenn der Patient älter wird, können solche Figuren u.U. als ich-synton akzeptiert und zu einem Teil seines Selbst werden. Die Autorin hält aber konsequent am Kriterium der Andersheit fest, das selbst bei sehr gut integrierten Persönlichkeiten seine Gültigkeit bewahrt. VI. Dd. Das Selbst in der Psychoanalyse des Adoleszenten Die Erforschung der Funktion des Selbst als einer vom Ich unterschiedenen Entität leitet sich von dem Einfluss her, den Peter Blos’ Modell auf einige der Autoren ausübte, die sich mit der Psychoanalyse Jugendlicher beschäftigt haben.

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