Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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zur Untersuchung des Unbewussten auf. Zunächst wurde eine Hypnosemethode modifiziert, indem die Patientinnen, statt posthypnotische Suggestionen zu erhalten, aufgefordert wurden, frei über ihre Erinnerungen zu sprechen. Zweitens wich die Konzentration der Patientin auf eine bestimmte Vorstellung und die Suche nach einem pathogenen Faktor der Betonung spontaner Äußerungen. Die Patientinnen selbst leisteten dabei einen signifikanten Beitrag zur Freiheit der Assoziationen ohne vorgegebenen Ausgangspunkt. In dem 1893 verfassten, „Zur Psychotherapie der Hysterie“ überschriebenen Teil der Studien über Hysterie erklärt Freud den Übergangsmoment, in dem er auf die Hypnose verzichtete, seinen Patientinnen zuhörte und auf diese Weise die Methode der freien Assoziation entdeckte: “Das Nichtwissen der Hysterischen war also eigentlich ein — mehr oder minder bewußtes — Nichtwissenwollen, und die Aufgabe des Therapeuten bestand darin, diesen Assoziationswiderstand durch psychische Arbeit zu überwinden. Solche Leistung erfolgt zuerst durch ‚ Drängen ‘, Anwendung eines psychischen Zwanges, um die Aufmerksamkeit der Kranken auf die gesuchten Vorstellungsspuren zu lenken. […] Da bediene ich mich denn zunächst eines kleinen technischen Kunstgriffes. Ich teile dem Kranken mit, daß ich im nächsten Momente einen Druck auf seine Stirne ausüben werde, versichere ihm, daß er während dieses ganzen Druckes eine Erinnerung als Bild vor sich sehen oder als Einfall in Gedanken haben werde, und verpflichte ihn dazu, dieses Bild oder diesen Einfall mir mitzuteilen, was immer das sein möge. […] Ich meine eher, der Vorteil des Verfahrens liege darin, daß ich hiedurch die Aufmerksamkeit des Kranken von seinem bewußten Suchen und Nachdenken, kurz von alledem, woran sich sein Wille äußern kann, dissoziiere“ (1895d, S. 269f.). Als er während seiner Selbstanalyse zwischen 1895 und 1899 mit freien Assoziationen arbeitete, kombinierte Freud (1900a) das Konzept dynamischer unbewusster Prozesse mit dem der freien Assoziation, um eine originäre, integrierte und operationale Methode der psychoanalytischen Behandlung und Forschung zu entwickeln. In den zwischen 1912 und 1915 Texten sowie in später entstandenen Schriften empfahl er die freie Assoziation als Verfahren und Prozess fundamentalen Charakters . An ebendiesem Punkt wurde die freie Assoziation des Patienten, kombiniert mit der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers, die Freud als Teil der neutralen und abstinenten Haltung verstand, zur strukturierenden Säule und „Grundregel“ des analytischen Settings. Umgekehrt zog jeder theoretische Fortschritt eine Erweiterung der Anwendung der freien Assoziation nach sich. Die allmähliche Formulierung des Konzepts trug zur ursprünglichen Entdeckung des Widerstands bei. Die freien Assoziationen lenkten

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