Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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sich mit dem Inneren des Analysanden zu identifizieren. Strukturell gesehen, identifiziert sich jede innere Instanz der Persönlichkeit des Analytikers mit ihrem Pendant in der Persönlichkeit des Analysanden: Das Ich des einen mit dem Ich des Anderen, das Es des einen mit dem Es des Anderen usw. Racker bezeichnete diese Identifizierungen als „konkordant“ und unterschied sie von den Identifizierungen des Analytikers mit den inneren Objekten des Analysanden, die er als „komplementär“ bezeichnete. In seinem System verhalten sich konkordante und komplementäre Identifizierungen reziprok proportional: Insoweit Analytiker ihre konkordanten Identifizierungen nicht verstehen, verstärken sich ihre komplementären. Konkordante Identifizierungen entsprechen einer Neigung zur Empathie. Sie gehen aus einer sublimierten positiven Identifizierung hervor. Einerseits ist die Objektbeziehung zwischen dem Analytiker als Subjekt und dem Analysanden als Objekt des Wissens in gewisser Weise ausgelöscht, weil an ihre Stelle eine grobe Identifizierung getreten ist, der die Identität zwischen bestimmten Anteilen des Subjekts und bestimmten Anteilen des Objekts zugrunde liegt, deren Kombination man als „konkordant“ bezeichnen könnte. Andererseits besteht eine Objektbeziehung, die auf einer genuinen Übertragung seitens des Analytikers beruht, denn er reproduziert frühere Erfahrungen, und der Analysand repräsentiert innere (archaische) Objekte des Analytikers. Diese Kombination wird als „komplementär“ bezeichnet. Mithin kann der Analytiker durch seine eigenen Gegenübertragungsreaktionen die inneren Protagonisten des Patienten wahrnehmen, die dieser in ihn hineinprojiziert hat. Heimann (2016 [1977]) vertritt in mancherlei Hinsicht die gegenteilige Position: Die Gegenübertragung aktiviert Gefühle im Analytiker in Reaktion auf den Patienten. Solche Gefühle sind die Gefühle des Analytikers und das Ergebnis einer projektiven Identifizierung des Patienten; wenn der Analytiker ihrer innewird und sie versteht, gewähren sie Zugang zum Unbewussten des Patienten. Heimann verstand die Gegenübertragung als ein unbewusstes „ kognitives Instrument “, als „ein ungemein wichtiges Instrument für den Erkenntnisprozess des Analytikers“ (S. 402), das ihm Aufschluss über die mögliche „Zeitverzögerung zwischen unbewusster und bewusster Wahrnehmung“ (S. 403) gibt. Eine solche Zeitverzögerung „wandelt sich in eine unbewusste Introjektion des Patienten und damit in eine unbewusste Identifizierung mit ihm“ (ebd.). Auch wenn sich Heimann nach ihrer Flucht aus Berlin zunächst der Gruppe um Melanie Klein anschloss, zählt sie zu den Analytikern, die eine Zwei-Personen-Theorie der Gegenübertragung vertraten. Sie selbst bringt ihre Loslösung von Klein und ihres Wiederanschlusses an die Welten Ferenczis und Balints mit ihrem Aufsatz „Zur Gegenübertragung“ (Heimann 2016 [1950]) in Verbindung. In dieser Abhandlung kombiniert sie auf ausgewogene Weise die Fokussierung auf die nuancenreiche emotionale Responsivität des Analytikers mit der Zurückhaltung , was die Äußerung von Emotionen betrifft. Offenbar betrachtete sie die analytische Gegenübertragung als eine Art Hervorbringung des Patienten, die dem Analytiker von Nutzen sein kann. Ihre klinische Vignette zeigt aber auch, dass die Gegenübertragung in ihren Augen sowohl

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