Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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V. Ab. Jean Laplanche Jean Laplanche hat seine Auffassungen der infantilen Sexualität und des Lebenstriebs im Laufe der Zeit entwickelt. Es ist eine komplexe Entwicklung, von der hier lediglich die wesentlichen Punkte vorgestellt werden können. Laplanche (1970) konzentriert seine Konzipierung des Triebs zunächst auf Freuds Theorie der Anlehnung . Der Sexualtrieb lehnt sich an den Selbsterhaltungstrieb an. Insofern folgt Laplanche Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie , versucht aber, die Psychoanalyse nach und nach von ihrem „biologistischen Irrweg“, wie er es nennt („fourvoiement biologisant“), abzubringen, und konzentriert sich auf die ursprüngliche Beziehung zum Objekt in der von ihm so genannten „anthropologischen Grundsituation“, der Conditio humana (Laplanche 2011 [1987]). Was die Mutter betrifft, so ist die Brust durch ihren Platz in ihrer erwachsenen Sexualität charakterisiert. Daher ist sie mit sexuell gefärbten „rätselhaften Signifikanten“ gefüllt. Diese Signifikanten (der Brust und ihrer Äquivalente) sind für das Baby unverständlich, weil sie mit den Empfindungen und Repräsentationen zusammenhängen, die erst mit der Pubertät zugänglich und verstehbar werden. Somit wird das Baby durch die erste Stillerfahrung und die „anthropologische Grundsituation“ insgesamt „verführt“. Auf diese Weise wird die Sexualität in seine Psyche implantiert: Das Baby verinnerlicht die der Brust inhärenten rätselhaften Signifikanten. Die Botschaft (enthalten in der Versorgung des Babys und unbewusst vermittelt) kompromittiert die Entwicklung des Kindes und färbt seine Beziehung zum Triebleben. Die Frage des Triebs kann daher nicht unabhängig von der Urverführung untersucht werden, die die Welt des Kindes mit den rätselhaften Zeichen der elterlichen Sexualität färbt. Laplanches (2004) Position zu Lebens- und Todestrieben ist relevant. Der Todestrieb – von ihm als Tod des Sexualtriebs bezeichnet – ist nach seiner Ansicht ein integraler Bestandteil der freudianischen Konzipierung der Sexualität, ein Schicksal des ungebundenen Es, eine Reflexion der Urverdrängung. Der Lebenstrieb ist die bindende Kraft, der Todestrieb spiegelt die Prozesse wider, die Bindungen auflösen. V. Ac. André Green Der fundamentale Gegensatz zwischen Bindungsprozessen und solchen, die Bindungen zerstören, steht im Mittelpunkt von Greens Konzepten. Auch in diesem Fall beschränken wir uns auf die wesentlichen Punkte. Laut Green (1999) besteht der fundamentale Triebkonflikt zwischen Eros und Destruktivität. Es ist ein innerer Konflikt. Die Zerstörung (die ursprünglich ein inneres Objekt hat) hängt mit einem Gefühl der Hilflosigkeit zusammen. Ihr steht eine Lebenskraft gegenüber, die das menschliche Subjekt drängt, die Destruktivität nach außen, auf äußere Objekte, umzulenken. Green beschreibt eine „objektalisierende“ ( objectalisante ), objekterzeugende Funktion, die Objekte zu besetzen oder sogar zu erschaffen bestrebt ist, um aus den frühen Sackgassen hinauszugelangen, und eine

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