Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

erweist sich das Interpsychische als eine „ funktionale präsubjektive Ebene, auf der zwei Personen durch die Verwendung ‚normaler‘, kommunikativer projektiver Identifizierungen innere Inhalte austauschen können “ (S. 110). Als erweiterte psychische Dimension spiegelt es die innerlich erlebte wechselseitige Beeinflussung zweier Psychen wider. Wenn der analytische Dialog in der behandlungstechnischen Verwendung des Konzepts als interpsychisch erfahren wird, gewinnt er eine „neue, spezifischere Effektivität, und zwar zunächst im Containment und dann in der Symbolisierung“ (Bolognini 2004). Dieser Ansatz wurde in einer Vielzahl der unterschiedlichen, modernen psychoanalytischen Traditionen ausgearbeitet, einschließlich der neo-kleinianischen und der neo-bionianischen, die insbesondere auf die Bereitschaft fokussieren, projektive Identifizierungen anzunehmen (Steiner 2011; Pick 2015). In Verbindung mit dieser Sichtweise ist eine Richtung der französischen intersubjektivistischen Theoriebildung zu sehen, die auf eine unbewusste Kommunikation via enigmatische Botschaften abhebt. Die Aufmerksamkeit für den Raum des Patienten bleibt uneingeschränkt gewahrt; die Subjektivität des Analytikers und seine Repräsentations- und Symbolisierungsfähigkeit werden in den Dienst der Subjektwerdung, Repräsentations- und Symbolisierungsfähigkeit des Patienten gestellt. Im Kontext der Gegenübertragung wäre als Beispiel Faimbergs Gegenübertragungsposition des dezentrierten klinischen Zuhörens zu nennen, auch bekannt als dem Zuhören zuhören (Faimberg 1992, 2009 [2005], 2012, 2013, 2015). Diese Einstellung entspricht einer aufmerksamen Beobachtung der Art und Weise, wie der Analytiker das, was der Patient gehört und gesagt hat, hört (und umgekehrt). Sie bringt zahlreiche Überraschungen mit sich, die zum Verständnis der Rezeptivität des Patienten und seiner Fähigkeit zur symbolischen Repräsentation beitragen. Jaqueline Godfrind Habers und Maurice Habers (2009) Konzept der gemeinsamen agierten Erfahrung beschreibt die interpsychische Entität eines ausgelebten „Handlungsbildes“, das noch nicht verbal symbolisiert werden kann, aber Symbolpotential enthält. Der symbolische Sprung vom Potential zur Realisierung, vom Agieren zum Denken, kann durch die auf der Gegenübertragung beruhende Beteiligung des Analytikers bewerkstelligt werden. In ähnlicher Weise zeigt die Arbeit von René Roussillon (2009), wie die Aktionen und der Körper des Patienten Vorgänge und Botschaften aus seiner präverbalen Geschichte vermitteln. Die interpsychische Transmission auf der Ebene von Übertragung-Gegenübertragung kann dazu beitragen, dass diese Vorgänge und Botschaften Teil des „psychischen Lebens“ werden. Unter mannigfaltigen Blickwinkeln betonen auch Green (2000), Aulagnier (2015), de Mijolla-Mellor (2015/2016) und andere die Feinabstimmung des Analytikers auf den interpsychischen und/oder intersubjektiven Fluss unbewusster Kommunikationen als unverzichtbare Voraussetzung für die analytische „ Ko-Re-Konstruktion “ und Historisierung des frühen Traumas des Patienten, und die Wiederherstellung der Symbolisierungsfähigkeit als Bedingung dafür, dass Deutungen überhaupt als sinnhaltig wahrgenommen werden können.

92

Made with FlippingBook - Online magazine maker