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ENZYKLOPÄDIE DER
NACHHALTIGKEIT (44)
Speiseeis
D urch Zufall erfand Frank Epperson aus San Fran- cisco 1905 Eis am Stiel (nicht das Speiseeis selbst, das erfanden die Chinesen). Der Elfjährige vergaß ein Glas Limonade mit einem Holzstäbchen darin im Freien – die über Nacht gefror. Knapp 120 Jahre später ist das Spei- seeis aus deutschen Sommern nicht mehr wegzudenken. Jeder Bundes- bürger schleckt im Jahr um die acht Liter von dem gefrorenen Süß. Doch was so unschuldig begann, hat seine Schattenseiten. Eisproduzenten stellen kaum ökologische und soziale Anforderungen an Inhaltsstoffe wie Fette und Öle, moniert der WWF. Nur beim Palmöl gaben vom WWF befragte Unternehmen an, zertifizierte Ware einzusetzen. Der Druck von NGOs und Verbrauchern habe gewirkt, freut sich Ilka Petersen vom WWF. Allerdings stecke fast zehnmal so viel Kokosöl im Eis, „und da fragt keiner nach“. Der Ersatz des viel diskutierten Palm- öls insbesondere durch Kokosöl löst die ökologischen Probleme nicht, sondern verlagert diese nur. So gedeihen Kokos- palmen teils in denselben Tropenlän- dern wie die ertragreichere Ölpalme, ihr Anbau benötigt jedoch im Vergleich
mehr Fläche. Laut einer Studie bedro- hen Kokosplantagen 60 Arten, die auf der Roten Liste stehen, mehr noch als das Palmölpendant. Geschätzte 60 Pro- zent der Kokos-Kleinbauern im Haupt- produktionsland Philippinen leben unter der Armutsgrenze. Zertifizierte Ware (Rainforest Alliance) ist vorhan- den, wird aber kaum nachgefragt. Auch vermeintlich heimische Alter- nativen aus Raps oder Sonnenblumen sind mitunter bloß Augenwischerei, denn sie werden oft aus Übersee impor- tiert. Bei den weiteren Bestandteilen Milchfett und Sahne gab dem WWF nur ein großer Eishersteller zu Proto- koll, die Kühe würden mit gentechnik- freiem, zertifiziertem Soja gefüttert. Eisliebhaber greifen am besten zu Sorten mit Fairtrade- (betrifft z. B. auch Kakao und Zucker) sowie Bio-Siegel (Früchte). Die Auswahl im Handel wird dank kleiner Marken stetig größer. Oder sie besuchen direkt die gute Eisdiele von nebenan. Etliche Cafés machen ihr Eis selbst und achten dabei auf Biozutaten aus regionalem Anbau. Wer sein Eis täglich frisch für die Theke herstellt, braucht überdies kein Kokosöl für die Konsistenz. Ein Beigeschmack bleibt. Weil die Kühlung viel Energie braucht, ist unser Eisgenuss wohl nie ganz nachhaltig.
FAIRES EIS BOOMT Rund 113 Kugeln oder 7,9 Liter Eis hat jeder Bundesbürger 2021 im Durchschnitt konsu- miert, zumeist industriell her- gestelltes Markeneis. Faires Eis ist jedoch im Kommen: Im Jahr 2020 kauften nachhaltigkeits- bewusste Eisfans bereits rund 11,4 Millionen Liter davon. Fair geschleckt Absatz von Speiseeis mit Fairtrade- Siegel in Deutschland, in Millionen Litern (bis 2016 in Mio. Kilogramm) 11,4 12
10
8,0
8
6,9
6
4,7
4
3,4
2
0,6
0,2
0
2008 ’10 ’12 ’14 ’16 ’18 2020
Unser Fazit Beim Eisbestandteil Palmöl fand ein Umdenken statt. Doch die Alternative Kokosfett wird ohne Zertifizierung einge- kauft, während Raps auch aus Übersee importiert wird. Der Verbraucher sollte zu Sorten mit Bio- oder Fairtrade-Siegel greifen. Noch besser schnei- det die klassische Eisdiele ab. Viele machen ihr Eis selbst und achten auf Biozutaten.
ILLUSTRATION: SAMY LÖWE. INFOGRAFIK: RALF BITTER. TEXT: EILEEN STILLER. QUELLEN: CURRENT BIOLOGY, JULI/2020 ; BDSI; STATISTA; WWF ( REPORT SPEISEEIS 2018, 2020)
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