04-2014 D

ZU BESUCH BEI

RAIMUNDA

Heute ist Besuchstag. Mit sieben Frauen machen wir uns auf den Weg zu einem Weiler im Inland. Das Ziel ist, Raimunda zu besuchen. Sie war bis vor kurzem Teil unserer Gemeinde, musste aber aus gesundheitlichen Gründen zu ihrem Sohn ziehen. So sitze ich also auf der Ladefläche unseres Pick-ups und geniesse trotz Sandwolken die Gegend. Die Regenzeit hat aufgehört, die Sträucher und Bäume beginnen sich braun zu verfärben und verlieren ihre Blätter. Plötzlich sehe ich einen Baum ganz ohne Blätter, dafür übervoll mit kleinen, violetten Blüten. Eine Augenweide mitten im staubigen Busch! Am Fluss wartet eine verrostete Fähre. Vorsichtig fährt Beat auf das wackelige Ding und schon wird mittels Manneskraft übergesetzt. Auf der anderen Seite des Flusses geht die Rum- pelfahrt weiter. Ab und zu huscht ein Leguan in den Busch oder eine Ziegenfamilie frisst das wenige Gras ab. Nach einer Stunde Fahrt kommen wir imWeiler an. Raimun- da ist zuerst verunsichert, wer all die Leute sind, die nach ihr fragen. Aber dann beginnt ihr Gesicht zu strahlen! Mit Trä- nen in den Augen erzählt sie uns, wie sie sich nach ihrem Häuschen in der Stadt und nach der Gemeinde sehnt – und nun stehen sieben Frauen aus der Kirche vor ihr. Sie kann es kaum fassen. Immer wieder muss sie jede von uns ansehen und begrüssen. Hätten wir uns angemeldet (aber wie?), dann hätte sie uns etwas anbieten können ... Wir singen einige Lieder, beten und lesen ihr aus der Bibel vor. Selber lesen kann Raimunda nicht, eine kleine Gemein- de liegt zu weit weg und ihre Verwandten wollen sie nicht zu den Gottesdiensten begleiten. Alleine kann sie den Weg nicht mehr gehen und so fehlt ihr der Anschluss. Nach einer Stunde machen wir uns auf den Heimweg. Zum Abschied schenkt mir Raimunda noch einen Basilikumable- ger. Sie bedankt sich überschwänglich und winkt uns noch lange nach. Wir nehmen uns vor, Raimunda regelmässig zu besuchen.

Ursula ROGGENSINGER ist Mitarbeiterin im ProSERTÃO in Brasilien.

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