IHK-Magazin Ausgabe 02/2022

PRO & CONTRA

AUSBILDUNG

MEINUNG

geht es um Benchmarks: Was kostet die Aus- bildung in anderen Unternehmen? Wie viele Auszubildende kommen auf einen Ausbilder? Und den Austausch über aktuelle Fragen. Die wohl aktuellste ist: Woher die dringend be- nötigten Auszubildenden in Zukunft nehmen? „Es gibt weniger Schulabgänger als noch vor ein paar Jahren, wir haben den Trend zum Studium, und wir befinden uns seit Monaten in der Corona-Krise“, sagt Schüttler. Die große Befürchtung ist, dass der Einbruch auf dem Ausbildungsmarkt erst im September offensichtlich wird. Während die Bewerberzahl für den Ausbildungsstart 2021 zumindest für viele größere Firmen im Bereich des Üblichen lag, gehen die Anschreiben und E-Mails derzeit nur zögerlich ein. „Es haben keine Ausbildungs- messen stattgefunden, keine Praktika, es fehlt der Bezug zum Berufsleben, was soll ich lernen, welche Möglichkeiten gibt es“, beschreibt Schüttler das Problem. Es gibt rund 350 Aus- bildungsberufe, wie soll man da wissen, was für einen interessant sein könnte? Seit den 2000er Jahren habe die Zahl der Akademiker zuge- nommen, und im gleichen Maße sei die Attrak- tivität der dualen Ausbildung gesunken. „Dabei stellt eine Ausbildung die Menschen breit auf, das müssen wir wieder stärker kommunizie- ren“, mahnt Schüttler. Denn: „Die Fachkräfte sichern die Zukunft von uns allen.“ Stefanie Ball

befindet sich an prominenter Stelle im Industrie- park. Wer das Gelände an Tor 1 betritt, läuft automatisch an dem Bau vorbei. „Das Ausbil- dungszentrum ist eines unserer modernsten und innovativsten Gebäude“, sagt Wilhelm Schüttler, Technischer Leiter des Bildungs- zentrums. Auf zwei Etagen mit hellen, offenen Räumen stehen hier Hightech-Maschinen. Die Lernmethoden sind innovativ, bevor zum Beispiel in der Realität geschweißt wird, erproben die Auszubildenden die Technik zunächst mittels VR-Technologie, also in der virtuellen Realität. Freudenberg bietet auch anderen Unternehmen an, im Industriepark auszubilden. Inzwischen nutzen 27 Betriebe, darunter Coca-Cola, Naturin und Amazon, die Möglichkeiten der Verbundausbildung in sechs verschiedenen Berufen. Derzeit gibt es 188 Auszubildende, 69 davon befinden sich ersten Lehrjahr. Die Hälfte von ihnen gehört zu Freudenberg, die anderen zu den Ausbil- dungspartnern. Vor sieben Jahren hat sich Freudenberg zu- dem mit vier weiteren Unternehmen aus dem Rhein-Neckar-Kreis, MVV, John Deere, Roche Diagnostics und Heidelberger Druck zu einem Ausbildungsbündnis zusammengeschlossen. Die Partner legten eine neue Form des Prakti- kums auf: MINT5 – in einer Woche können die Praktikanten alle fünf Unternehmen kennen lernen, jeden Tag ein anderer Betrieb. Daneben

BILDUNGSPOLITIK Ausbildungsplatz garantiert?

-1,2 % WENIGER GESCHLOSSENE AUSBILDUNGS - VERTRÄGE 2021 im Vergleich zu 2020.

Die neue Bundesregierung will unter anderem mit einer Ausbildungsplatzgarantie die berufliche Bildung in Deutschland stärken. Noch ist unklar, wie das Modell gestaltet werden soll. Doch braucht es eine Ausbildungsplatzgarantie? Ein Für und Wider.

PRO

CONTRA

BEREITS HEUTE gibt es mehr unbesetzte Aus bildungsstellen als Bewer- ber in der Metropolregion. Damit haben wir faktisch eine Ausbildungsplatz-

DIE DISKUSSION UM EINE AUS- BILDUNGSGARANTIE erhitzt die Gemüter. Ergibt sich aus den Zahlen die Notwendigkeit eines solchen Schrittes oder haben wir es mit einem kurzzeitigen Corona- Effekt zu tun? Beide Fragen sind nicht zentral. Zwei andere sind es: Welchen

Christian Beck ist bei der Heidelberger Druckmaschinen AG Leiter der Beruflichen Bildung für die tech - nischen Berufe. Er ist stellvertretendes Mit - glied im IHK-Berufs- bildungsausschuss.

Lars Treusch ist Geschäftsführer der DGB-Region Nordbaden und Vertreter der Ar - beitnehmer im IHK-Bildungs - ausschuss.

garantie. Die Brisanz liegt dabei in der Passung des vorhandenen Ausbildungs- platzangebots zu den ausbildungsplatzsuchenden Personen. Deshalb muss noch mehr für die Berufsorientie- rung der Schüler getan werden, gerade in Zeiten der Pandemie ist das eine Herausforderung. Ein wichtiger Schritt war die Einführung des Unter- richtsfachs WBS. Hier gilt es, die Lehrkräfte ge- zielt zu schulen, damit sie der Aufgabe überhaupt gerecht werden können. Speziell an Gymnasien könnten hier noch stärker Perspektiven auf- gezeigt werden, um die Schüler für eine duale Ausbildung zu begeistern. Eine wesentliche Be- reicherung für den Unterricht und für die Unter- stützung der Lehrkräfte sind in jedem Fall die Ausbildungsbotschafter der IHK. Aber auch die Ausbildungsbetriebe sind in der Pflicht, zusätz- liche innovative Ideen und Angebote für Schüler zu entwickeln. Ein Beispiel dafür das MINT5- Praktikum des NETZWERK AUSBILDUNG, dem Ausbildungsverbund von Freudenberg, Heidel- berger Druckmaschinen, John Deere, MVV und Roche. Die Stärkung der Berufsorientierung an Schulen und die Berufsfindung über Angebote der Betriebe führt zu möglichst passgenauen Ausbildungsverhältnissen. Bei mehr Beratung und Orientierungsange- boten braucht es keine Ausbildungsplatzgarantie, weil es im Interesse der Betriebe liegt, vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der Demografie den eigenen Nachwuchs zu stärken.

Stellenwert haben junge Menschen in unserem Land? Und wie wollen wir die Herausforderungen der Transformation stemmen? Ausbildung hat nichts mit Zahlen zu tun, sondern mit Lebens- qualität. Sind junge Menschen nur eine Ressource für die Wirtschaftsprozesse auf denen (noch) unser Wohl- stand basiert oder haben wir es mit Individuen zu tun, denen die Gesellschaft einen guten Start ins Leben bieten will – unabhängig davon, was sie später einmal erreichen? Wäre es nicht schön, wenn das Fachkräftepoten- zial sich verbreitern würde und Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich aus einem größeren Angebot an Arbeitskräften einerseits und Arbeitsplätzen andererseits das für sie passende heraussuchen könnten? Wenn durch gut ausgebildete Fachkräfte die Entgelte und damit die Einnahmen der Sozial- versicherungen steigen würden? Jeder junge Mensch muss einen Ausbildungs- platz bekommen können, der seinen Fähigkeiten entspricht und auch seine Wünsche berücksich- tigt. Sich darauf zu verständigen ist nicht nur ein Gewinn für unsere Jugend, sondern auch für die Unternehmen. Langfristig muss unsere Gesell- schaft innovativ und wettbewerbsfähig bleiben, gerade in Zeiten von Digitalisierung und ökologi- schem Wandel. Eine Ausbildungsgarantie sagt: Ihr seid uns wichtig!

Längst ein eingespieltes Team: Armin Kayser (links), Geschäfts - führer von Kyocera, mit Azubi Franz Kolb. Er steht kurz vor seiner Abschlussprüfung als Zerspanungsmechaniker.

INFO

WIE SIEHT DER AUSBILDUNGSMARKT

in der Region aus? Welche Unter- stützung bietet die IHK Betrieben, die Auszubildende suchen? Und wie wandelt sich die Ausbildungs- welt? Ab Seite 32 lesen Siemehr zur Fach- kräftesituation im ländlichen Raum.

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IHKMagazin Rhein-Neckar 02 | 2022

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