DOGStoday

Tierschutz

3. 2022

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D er Lärm ist ohrenbetäubend. Es bellt, fiept und heult aus Tausenden Kehlen. Endlose Zwinger- reihen stehen auf einer Fläche von sechs Fuß- ballfeldern. Hunde springen krachend gegen das Gitter, Blechnäpfe scheppern. Das ist so groß, mir rutscht das Herz in die Hose. Nirgendwo in Europa gibt es so viele Streuner wie in Rumänien. Und 6500 von ihnen haben hier, in der Smeura am Stadtrand von Pitești, nordwest- lich der Haupstadt Bukarest, eine Zuflucht gefunden. Es ist das größte Tierheim der Welt. „Kein Rekord, über den ich mich freue“, sagt Matthias Schmidt. Er ist Vorsitzen- der der Tierhilfe Hoffnung im schwäbischen Dettingen, die die Smeura im Jahr 2000 auf dem Gelände einer ver- lassenen Fuchsfarm gründete. Aber obwohl er jedes Jahr bis zu 3000 Hunde nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz vermittelt, bleiben die Zwinger voll. Jetzt zwickt mich ein bisschen mein Gewissen. Wer einen Hund aus der Zucht kauft, sorgt dafür, dass ein anderer im Zwinger bleibt oder sterben muss. Das ist eine gängige Auffassung und ich habe lange ge- nauso gedacht. Sollte ich je einen Hund haben, würde ich einen retten, sonnenklar. Es kam anders. Unser Zwergschnauzer Toni ist von einer Züchterin. Es ist unser allererster Hund. Mein Mann und ich haben lange überlegt, was für einer zu uns passen würde. Im Tier- heim wurden wir nicht fündig. Die Hunde waren zu groß, zu alt, verhaltensauffällig oder nicht geeignet für ein Leben im Münchner Zentrum. Viele wurden nur an erfahrene Halter vermittelt. Einen Hund aus dem Aus- land trauten wir uns nicht zu: ein Tier, das das harte Leben auf der Straße gewöhnt ist oder womöglich unter Traumata leidet, dem sahen wir uns als absolute Anfän- ger nicht gewachsen. Dann stießen wir auf den Zwerg- schnauzer – ein Hund wie für uns gemacht, gesund, aktiv, lernfreudig und menschenbezogen – und eine liebevolle Züchterin, die uns Neulingen vertraute. Wir haben es uns leicht gemacht. Aber waren wir verant- wortungslos? Wahr ist ja auch: Für jeden Hund aus dem Zwinger rückt ein neuer nach. Was hilft aber wirklich, das Streunerproblem zu lösen? Und wie sieht guter Aus- landtierschutz überhaupt aus? „Ich wollte nie sechseinhalbtausend Hunde be- herbergen“, sagt Schmidt. Als er vor zehn Jahren die Smeura von der Gründerin Ute Langenkamp übernahm, waren knapp halb so viele Hunde in der Smeura. Die Tierschützer fingen Streuner ein, kastrierten und setzten sie wieder frei. Gleichzeitig vermittelten sie Hunde. Ei- gentlich wäre die Sache einfach: Die Zahl von Straßen-

hunden in einem Gebiet ist immer gleich. Sie hängt da- von ab, wie viel Nahrung, Wasser und Unterschlupfe es gibt. Verschwinden Hunde und werden Ressourcen frei, vermehren sie sich stärker. Die Tierhilfe Hoffnung rech- net so: Zweimal im Jahr kann eine Hündin bis zu acht Junge bekommen. Überleben vier und vermehren sich diese und ihre Nachkommen weiter, gibt es theoretisch im ersten Jahr acht Hunde, in vier Jahren 4096, in acht Jahren 16 777 216 und nach zehn Jahren über eine Milli- arde. Werden sie aber kastriert in ihr Revier freigelassen, bleibt die Population stabil und würde binnen einer Hundegeneration von der Straße verschwinden. „Catch, Neuter & Release“ heißt diese Tierschutzstrategie. Dass sie funktioniert, ist wissenschaftlich belegt. Auch die Smeura hatte damit Erfolg: Binnen 13 Jahren konnte sie so in Pitești die Zahl von 33.000 auf 4500 Streuner redu- zieren. Doch dann änderte ein Unglück alles. Nachdem der vierjährige Ionut Anghel in Bukarest von Hunden totgebissen wurde, verabschiedete die Regierung das Tö- tungsgesetz für Straßenhunde. Obwohl der Junge von abgerichteten Wachhunden getötet worden war. Und ob- wohl das massenhafte Töten die Streuner-Population bis heute nicht verringert. „Das hat guten, nachweislich funktionierenden Tierschutz kaputtgemacht“, sagt Schmidt. Wir stehen am Eingang der Smeura, er zeigt auf ein weißes Gebäude etwa 200 Meter davor. Die städ- tische Tötungsstation von Pitești. Die Gemeinde hat sie ihm direkt vor die Nase gesetzt. Er hätte zusehen müs- sen, wie dort unzählige Hunde umgebracht werden. Also nimmt er alle Tiere von dort und vier weiteren Tötungs- stationen im Umkreis auf. Jedes Jahr kommen so bis zu 1600 Hunde in die Smeura. Das verlangt Schmidt und seinem Team eine Menge ab. 100.000 Euro im Monat kostet der Betrieb des Heims, mehr als 100 Menschen sind hier angestellt – finanziert von Spenden. Wir passieren die Tierklinik auf dem Gelände. Sieben Tierärztinnen und Tierärzte arbeiten hier. Meist kommen die Hunde in furchtbarem Zustand an und müssen medizinisch behandelt werden. „Letzten Winter fanden wir in der Tötungsstation Hunde, die am Boden festgefroren waren, weil die Betreiber auch bei eisiger Kälte die Käfige mit Wasser ausgespritzt haben“, erzählt Schmidt. Die Retter mussten ihnen das Fell abtrennen, um sie zu befreien. Sie sehen solche Grausamkeiten jeden Tag. Aber andererseits steht vor dem Eingang eine lange Reihe von Käfigen. Privatleute bringen ihre Tiere hierher, um sie kastrieren zu lassen. Zehn bis zwanzig Menschen kommen jeden Tag. Auch wenn sie die Hunde nicht mehr freisetzen kann, setzt die Tierhilfe Hoffnung

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