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Unterwegs
chiere ich die voraussichtliche Fahrzeit von meiner Münchner Wohnung zum Gästehaus Nuihausa, in dem die Hundegruppe beherbergt ist. Uff, um sechs Uhr muss ich los. Am Donnerstagmorgen packe ich meine Kameraausrüstung, meinen Hund Hannah und einen großen Becher schwarzen Kaffee ins Auto und mache mich auf den Weg in die Berge. Wenigstens ist um diese Uhrzeit noch kein Berufsverkehr – und spätestens ab Höhe Irschenberg ist das frühe Aufstehen vergessen. Das Panorama der in Dunst gehüllten Berge erstreckt sich über den Horizont. Hannah döst auf dem Rücksitz, während ich die Aussicht genieße. Nach knapp einstündiger Autofahrt erreiche ich Bernau am Chiemsee und erhasche einen Blick über den See. Um kurz vor sieben lotst mich das Navi hier von der Autobahn. Weiter geht es durch kleine Ortschaften mit Häusern im typischen Landhausstil, die Balkone üppig mit Geranien bepflanzt. Je weiter ich in Richtung Berge komme, desto kleiner werden die Dörfer und desto kurviger ist die Straße. Gut, dass Hannah noch kein Frühstück hatte – bei solchen Strecken neigt sie zu einem empfindlichen Magen. Ihr zuliebe fahre ich die serpentinenartige Straße noch etwas langsamer auf- wärts. Kurz vor dem Maserer Pass, der sich auf knapp 800 Höhenmeter befindet, huscht ein Fuchs vor dem Auto über die Straße – und ist so schnell wieder im Wald verschwunden, wie er aufgetaucht ist. Und dann liegt plötzlich der kleine Ort Reit im Winkl vor mir, in einer Senke, umgeben von Bergen. In der Mitte steht die Kirche mit dem Zwiebelturm, drumherum malerische Häuser. Das weiche Morgenlicht lässt die Szenerie wie ein kitschiges Ölgemälde wirken. Auf dem Parkplatz des Nuihausa – ein wunder- schön hergerichtetes altes Bauernhaus – angekommen, sehe ich zwei Frauen mit je einem Hund an ihrer Seite. Ich steige aus und hole Hannah aus dem Auto. „Hi, ich bin Jana“, ruft die eine von ihnen. Während ich Hannah und mich vorstelle, sind auch schon die nächsten Mensch-Hund-Teams in Anmarsch. Hannah setzt an, dies lautstark zu vermelden, doch ihr wird schnell be- wusst, dass sie der Neuling in der bereits seit vier Tagen eingeschweißten Gruppe ist. Kurze Zeit später sind wir komplett: fünf Kursteilnehmer-Hunde mit insgesamt sieben Herrchen und Frauchen, Trainerin Jana mit Junghund Bosse, Hannah und ich. Angeführt von Jana, setzt sich die Truppe in Bewegung: wenige Meter durch das Dorf und schon sind wir auf einem Feldweg, der uns zu grünen Hügeln führt. Obwohl es noch nicht einmal
acht Uhr ist, ist es bereits angenehm warm. Auf einer Wiese angekommen, gibt es die ersten Übungen. Dabei bekommt jeder Hund seine eigenen Aufgaben, alle ha- ben ihr eigenes Tempo und einen auf sie abgestimmten Schwierigkeitsgrad. Außerdem wird jeweils kurz der letzte Stand am Vortag angesprochen und worauf heute besonders zu achten ist. Collie-Hündin Liv und Terrier- mix Polly sind wenig begeistert, wenn Frauchen sich anderen Hunden nähert, also bindet Jana Hannah und mich kurzerhand als Statisten in ihr Training ein. Kosy, eine etwas ältere Dame aus dem Tierschutz, ist noch nicht recht wach und muss etwas animiert werden, um sich beim Dummy-Training überhaupt in Bewegung zu setzen. Vizsla-Hündin Pippa ist kurz aufgebracht, als Janas Jungspund, der fünf Monate alte Retriever Bosse, sich ihrem Dummy zu sehr nähert. Jana reagiert auf alles, fragt ab, was den Herrchen und Frauchen aufgefal- len ist und warum ihre Hunde die entsprechenden Reaktionen zeigen. Sie bietet sofort Alternativen für Mensch und Hund an. Mir fällt auf, wie harmonisch die Hunde, die vor der malerischen Kulisse ihr Training absolvieren, trotz ihres unterschiedlichen Alters und Temperaments miteinander umgehen. Und mittendrin Jana, die mit ihrer bodenständigen Ruhe und stets lä- chelnd sehr klar die Aufgaben definiert. Die Morgenrun- de ist aktiv gestaltet, trotzdem herrscht eine friedliche Ruhe. Ich bin froh, dass ich so früh aufgestanden bin. Um kurz vor neun sind wir zurück am Gäste- haus. Jetzt ist gut eine Stunde Frühstückspause, die ich nutze, um mich mit Jana Rätke zu unterhalten. Hannah bekommt eine Schale mit mitgebrachtem Trockenfutter, und bei Kaffee, frischen Brötchen, Käse und Obst er- zählt mir Jana, dass ihre Liebe zu den bayerischen Ber- gen schon seit ihrer Kindheit besteht. „Bevor ich meine Hundeschule in Hamburg eröffnet habe, habe ich auch einige Jahre hier gelebt und gearbeitet“, erzählt sie. „Ich habe dann einen Weg gesucht, beide Heimaten mitein- ander zu verbinden.“ Vor fünf Jahren hat sie die erste „Klassenreise“ angeboten. „Ich dachte nicht, dass das überhaupt einer bucht“, berichtet sie lachend. Doch der Zuspruch war von Anfang an groß. Seitdem bietet sie die Trainingsreise zweimal im Jahr an, in der Regel sind vier bis sechs Hundehalter aus ganz Deutschland dabei. Buchen kann man über ihre Webseite. Gibt es mehr als sechs Teilnehmer, teilt Jana Rätke die Trainingskurse in eine Vor-und Nachmittagsgruppe auf, damit es nicht zu viele Hunde pro Einheit sind. Ob ihr das nicht zu viel ist, nicht nur Hundetrainerin, sondern auch Reiseleiterin zu sein, frage ich. „Nein“, sagt Jana. „Zu Hause in Ham-
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