Rütter – Das Magazin

VERHALTEN

Verhalten das vorhandene innere Ungleichgewicht wiederher- zustellen und dadurch sein Wohlbehagen zu steigern, dann kön- nen wir von Normalverhalten sprechen. Suchst du Streit? Aggressives Verhalten gehört zum Normalverhalten des Hundes und sichert sein Überleben und das seiner Gruppe. So hat Konrad Lorenz es im Hinblick auf das Brutpflegeverhalten auch so trefflich formuliert: „Wohl gibt es Aggression ohne Liebe, aber keine Liebe „ Immer wenn ein Hund es durch sein Verhalten schafft, sein inneres Gleichgewicht wieder- herzustellen, sprechen wir von Normalverhalten “

agonistischen Verhalten zu, welches im Funktionskreis des Sozi- alverhaltens und der Kommunikation zu finden ist. „Aggression ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Sozialverbandes, ein Re- gulativ für das Zusammenleben, für das ausgewogene Zusam- menarbeiten und Streiten um Ressourcen, Requisiten und Rand- bedingungen (Futter, Platz, Bindungspartner) in hierarchisch strukturierten Verbänden, Rudeln oder Gruppen“ (Feddersen- Petersen 2001, S.94). Wenn sich der Hund den Umständen entspre- chend verhältnismäßig aggressiv verhält, dann handelt er normal und nicht krankhaft. Dies bedeutet aber nicht, dass jegliches ag- gressive Verhalten akzeptiert werden muss. Schnappt der Hund nach vorbeilaufenden Kindern, dann muss ich meinem Hund klar vermitteln, dass dieses Verhalten im Zusammenleben nicht tolerierbar ist und ich als Mensch verantwortlich dafür bin, Distanz zu störenden Reizen herzustellen. Unerwünschtes Verhalten Als unerwünschtes Verhalten können alle Verhaltensweisen ei- nes Hundes bezeichnet werden, die der Haltende so nicht erwar- tet oder sich erhofft hatte. Oft handelt es sich dabei um Elemen- te aus dem normalen Verhaltensrepertoire des Hundes, von denen der Mensch auch weiß, dass diese zum Normalverhalten

ohne Aggression“ (Lorenz, Kon- rad, 1998). Durch aggressives Ver- halten werden unter Hunden Handlungsspielräume ausgelotet, es ist unverzichtbarer Bestandteil des Sozialverhaltens bei Caniden. Kehren wir also zurück zur Hün- din, die im Hundefreilauf den bei- den aufdringlichen Rüden durch ihr aggressives Verhalten unmiss- verständlich klargemacht hat, dass eine weitere Annährung nicht gewünscht ist und diese doch ein wenig mehr Distanz her- stellen mögen. Der britische Ver- haltensbiologe John Archer drückt

seines Vierbeiners gehören, die aber als lästig empfunden werden oder für die der Mensch im Gro- ßen und Ganzen Verständnis hat, wenn diese in anderen Kontexten gezeigt werden. Viele Hundehal- ter und -halterinnen schaffen sich einen Hund an, damit dieser im Falle eines Einbruchs abschreckt. Bellt der Hund aber im Garten jeden Menschen am Zaun an, dann empfinden sie dies als pro- blematisch.

Auch Futteraggression ist grundsätzlich ein normales Verhalten

Problemverhalten Hierunter zählen Verhaltensauf-

es so aus: „Aggression ist ein Regulationsverhalten, das von einem Tier eingesetzt wird, um störende Reize aus seiner unmittelbaren Umgebung zu entfernen“ (Archer, John, 1988. The behavioural biology of aggression. Cambridge University Press). Die Verhal- tensbiologie ordnet das hundliche Aggressionsverhalten dem

fälligkeiten, die nicht nur aus menschlicher Sicht störend oder problematisch für das Zusammenleben sind, sondern dem Hund solchen Stress bereiten, den er nicht mehr bewältigen kann. Wir erinnern uns an den Rüden im Hundefreilauf, der während der Abwesenheit der Menschen jault und heult. Für den Hund als sehr soziales Lebewesen bedeutet die Trennung von seiner Grup- pe Stress. Allein auf sich gestellt fühlt man sich schnell unwohl, denn im Gruppenverband können Gefahren besser abgewehrt und Ressourcen effektiv gemeinsam verteidigt werden. Daher ist die Trennungsreaktion des Hundes alles andere als unnormal. Vielmehr dient sie dazu, das entstandene Problem zu lösen. Wird das Alleinbleiben nicht frühzeitig geübt, dann leidet der Hund unter einer Dauerbelastung, von der er sich nicht erholen kann. Verhaltensstörung Davon muss die echte Verhaltensstörung abgegrenzt werden. „Eine Verhaltensstörung ist eine situationsinadäquate Verhalten- sauffälligkeit eines Individuums. Sie tritt bevorzugt unter dem Organismus überfordernden Umweltgegebenheiten auf. Sie ist gekennzeichnet durch solche Verhaltensweisen beziehungswei-

Diese Hunde zeigen angemessenes Aggressionsverhalten, um den Artgenossen auf Abstand zu halten

34 Martin Rütter 7/2022

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