Sensationen
EHfT: Neben Ihren archäologischen Tauchgängen betreiben Sie auch mee- resbiologische Arbeit. Was sind für Sie die beeindruckendsten lebenden Schönheiten der Tiefsee-Unterwasser- welt? Was vielleicht auch die bizarrsten? Florian Huber: Schwer zu sagen, weil mich jeder Tauchgang und jedes Le- bewesen da unten beeindruckt – sei es noch so bizarr oder noch so klein. Ich finde Peryphylla peryphylla, eine rote, total spacy aussehende Tiefsee-Qualle, sehr bizarr und toll. Ich mag aber auch die kleinen Seepferdchen, ich mag die Seedrachen, die wir vor Tasmanien ge- sehen haben, die Hummer vor Helgo- land und auch Haie und Wale. Mich be- eindruckt da unten jedes Lebewesen. EHfT: Unter Wasser sind ja nicht nur die Tiere erstaunlich – Sie als Unter- wasserarchäologe erforschen auch untergegangene Schiffswracks. Was ist an ihnen als Lebensraum besonders interessant? Was wächst auf ihnen, was tummelt sich in ihnen? Florian Huber: Man kann sagen, dass jedes Wrack, das da unten liegt, ein künstliches Riff darstellt, ein künst- liches Hartsubstrat. Normalerweise ist der Meeresboden oft, wenn er nicht gerade aus Stein besteht, einfach nur Sand- und Schlammboden. Wenn da dann ein Wrack herausragt, ist das wie der Ayers Rock in Australien oder Helgoland in der Nordsee: Es ist weit und breit sichtbar und auf ihm lassen sich zunächst kleine Tiere nieder, dann kommen die nächstgrößeren,
die sie fressen, und dann kommen die noch größeren. Das heißt: An einem Wrack herrscht immer eine unfassbar große Artenvielfalt. Man hat nicht nur das Wrack mit seiner spannenden Geschichte, sondern sieht immer auch Tausende von unterschiedlichen
DR. FLORIAN HUBER Unterwasserarchäologe, Forschungstaucher und Mit- glied der Tauchgruppe Submaris
oder in der Neuzeit, wurde einmal von jemandem gebaut. Und der wollte mit diesem Schiff irgendetwas machen. Er wollte neue Kontinente oder eine neue Insel entdecken, vielleicht wollte er auch nur lokal auf Fischfang gehen, vielleicht auch Handel treiben oder Krieg führen. Und dann ist irgendetwas extrem schiefgegangen, sonst würden die Wracks ja nicht da unten liegen. Diese Geschichten faszinieren mich, denn es sind natürlich auch immer tra- gische. Aber es sind vor allen Dingen auch spannende und lehrreiche – weil wir einen Einblick bekommen in die Welt der Menschen damals, welche Schiffe sie hatten, welche Technik in diesen Schiffen steckte und mit wel- cher Ladung sie von A nach B fuhren. Das ist unfassbar spannend. Und ja, es sind Zeitkapseln, die da unten liegen, und jedesmal, wenn ich da runtertau- che, ist das für mich eine Zeitreise. EHfT: Was steht auf Ihrer Wunschliste? Welche Objekte oder Lebensräume würden Sie gern noch erforschen? Florian Huber: Tatsächlich steht auf meiner Wunschliste seit einigen Jahren die „Titanic “– das ist das Wrack, das vermutlich jeder Mensch auf dieser Welt kennt. Die Geschichte ist zwar eine Geschichte von drei Millionen, aber sie wurde so erzählt, auch durch die entsprechenden Hollywood-Filme, dass die „Titanic“ ungeschlagen das bekannteste Wrack der Welt ist. Leider liegt es sehr tief – in 3800 Meter Tiefe, man könnte da also nur mit einem U-Boot hinunterkommen. Aber so ein bekanntes Wrack in der Tiefe sehen zu dürfen, das fände ich toll. Ich hoffe, dass ich noch einige Jahre abtauchen darf, um zu forschen und meine Ge- schichten anschließend vielen Leuten zu erzählen.
PERYPHYLLA PERYPHYLLA Leuchtend rot schwebt die Kronenqualle durch die Tiefsee
Tieren. Einige sind nicht so gut für uns als Unterwasserarchäologen, z. B. der Schiffsbohrwurm, der Holz ganz gerne auffrisst. Manchmal nerven mich die Tiere auch beim Arbeiten. Z. B. wenn alles voll mit Miesmuscheln oder Algen bewachsen ist, sodass man das Wrack gar nicht mehr sieht. Aber das ist eben der Lauf der Zeit und die Natur holt sich das wieder, was ihr gehört. EHfT: Im Meer liegen ja Objekte, die zum Teil schon vor Jahrhunderten un- tergegangen sind. Wie sehr berühren Sie die Geschichten dahinter, die Tra- gik, die ihnen meist zugrunde liegt, die Relikte, die am Meeresgrund „einfach so herumliegen“, und deren Rätsel? Florian Huber: Das ist das, was mich tatsächlich fasziniert und was mich da ständig runtertreibt. Ich sage immer: Die weltweit drei Millionen untergegan- genen Wracks sind drei Millionen span- nende Geschichten. Denn jedes Schiff, egal ob in der Steinzeit, im Mittelalter
JEDES WRACK EIN ABENTEUER Dr. Florian Huber auf den Tiefsee- Spuren längst vergangener Zeiten
JUNI/JULI 2022 / EIN HERZ FÜR TIERE 23
Made with FlippingBook flipbook maker