RÜTTER
dividuum aktiv, quasi „vorauseilend“, gezeigt werden (aktive Unterwerfung). In vielen hierarchischen Systemen gibt es zudem Unterschiede im Verhal- ten in Bezug auf die Situation, in der die beiden Individuen aufeinandertreffen. So kann es sein, dass sich ein Individu- um beim Fressen dominant gegenüber dem anderen verhält, welches sich da- raufhin submissiv zurückzieht. In einer anderen Situation aber, etwa wenn ein beliebter Liegeplatz verteidigt oder er- obert werden soll, kann sich das ehe- mals submissive Individuum durch- setzen und den zuvor Dominanten vertreiben, das Verhältnis der beiden zueinander zeigt sich nun genau an- dersherum. Dominanz ist also immer auch situationsspezifisch! Hunde folgen freiwillig – unter bestimmten Bedingungen Was heißt das in Bezug auf den Hund? Forscher in aller Welt sind sich seit ge- raumer Zeit einig, dass Hunde zum ei- nen nicht grundsätzlich dominant sind, und zum anderen, dass der Hund den Menschen auch nicht dominieren will. Früher dachte man, dass Hunde in streng hierarchischen Strukturen leben. Entstanden war dieses Modell aufgrund der Beobachtung von Wölfen. Heutzu- tage weiß man jedoch, dass diese Er- kenntnisse durch Beobachtungen an Wölfen im Gehege nicht mit den sozi- alen Strukturen frei lebender Wölfe zu vergleichen sind. Während im Gehege die „Wolfsrudel“ vom Menschen zu- sammengestellt werden, es also keine natürlichen, gewachsenen Strukturen gibt und ein Abwandern einzelner Wölfe unmöglich ist, lebt der Wolf in der Natur in Familienverbänden, bestehend aus den Wolfseltern und dem Nachwuchs
Einmischen oder nicht? Der Mensch sollte keine kritischen Situationen zulassen und einschreiten – der Mensch „dominiert“ dann die Situation
„Forscher in aller Welt sind sich einig, dass Hunde nicht grundsätzlich dominant sind und den Menschen auch nicht dominieren wollen.“
in den unterschiedlichsten Altersstufen. Es gibt daher im natürlichen Wolfsru- del keinen ständigen Kampf um die Führungsposition, also kein ständiges Dominieren, kein Beherrschen der an- deren! Vielmehr wird das Rudel durch die Wolfseltern liebevoll und fürsorg- lich geführt. Im Rudel kümmert man sich umeinander, die Eltern erziehen den Nachwuchs und bringen ihm alles Überlebenswichtige bei. Die rangho- hen Tiere verhalten sich daher häufig ruhig und besonnen. Sie halten sich im Hintergrund, um einen guten Über- blick über die Lage zu haben. Zudem besitzen sie aufgrund ihres Alters viele Erfahrungen und können daher auch kritische Situationen beurteilen sowie souverän Entscheidungen treffen. Aus diesem Grund schließen sich die rang- niedrigen Tiere den ranghohen freiwillig an und zeigen von sich aus häufig sub- missives Verhalten, ohne dass es das ranghohe Tier eingefordert hätte. Das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund wird daher heute eher mit einer Eltern-Kind-Beziehung verglichen als mit einem gewaltsamen Kampf um die Vorherrschaft der ganzen Welt oder auch nur um den Liegeplatz im Wohnzimmer. Von Hunden wird erwartet, dass sie sich angepasst verhalten Was bedeutet das nun für das Zusam- menleben zwischen Mensch und Hund?
Immer wieder kann man hören: „Der Hund darf keinesfalls auf dem Sofa liegen oder im Bett schlafen. Wenn du das einmal zulässt, dann dauert es nicht mehr lange und du hast einen dominanten Hund!“ Sind diese „Hausregeln“ überholt oder sollte man sie doch lieber beach- ten? Denn schließlich liegt der Hund auf Bett und Sofa erhöht, und das wis- sen wir ja alle: „Auf dem Thron sitzen nur Herrscher!“ Liegestellen wie Bett oder Couch gewähren aufgrund der erhöhten Position tatsächlich einen besseren Überblick, haben aber nur wegen ihrer Höhe für Hunde keine be- sondere Wichtigkeit. Vielmehr verleiht diesen Liegeplätzen die Tatsache, dass es sich dabei um den privilegierten Ru- hebereich des Menschen handelt, eine besondere Wichtigkeit. Das Liegen auf Bett und Couch ist aber per se nicht als Anzeichen der Weltherrschafts- übernahme durch den Hund zu sehen, viele Hunde liegen dort aus reiner Be- quemlichkeit. Ob der Hund nun auf Bett oder Couch darf, muss daher im Einzelfall entschieden werden. Viele Menschen möchten zum Beispiel ein- fach aus hygienischen Gründen nicht, dass der Hund im Bett oder auf dem So- fa liegt. Doch wie sieht es aus, wenn der Hund den Menschen anknurrt, wenn dieser ihn vom Sofa schicken will? Dann liegt doch auf jeden Fall etwas im Argen,
Dominant oder submissiv? Das Verhalten eines Hundes hängt von der Situation ab – und natürlich von seinem Gegenüber
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