Rheingold

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55 EINE WEINREISE ––

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„Das Thema Nachhaltigkeit kommt meines Erach- tens im Weinbau noch viel zu kurz“, meint er knapp. Wahr- scheinlich schaue ich wieder etwas fragend. „Bio und das alles ist noch nicht nachhaltig“, sagt er ohne jeden morali- schen Zeigefinger, eher als würde er jetzt selbst zum ersten Mal darüber nachdenken. „Das ist ja viel mehr. Allein der CO 2 -Fußabdruck ist ein Thema, mit dem man sich endlos beschäftigen könnte. Das war auch einer der Gründe, war- um ich das mit den PiWis ausprobiert habe. Wenn man we-

nicht in Frage.“ Ich stelle mir vor, wie Philipp Wedekind mit der Hacke die Weinberge bearbeitet, und rechne den Einsatz auf seine Weinpreise hoch. Wahrscheinlich gehört nicht nur zum PiWi-Anbau viel Enthusiasmus und eine positive Grundeinstellung. Ich nehme mir jedenfalls fest vor, zukünftig immer, wenn etwas schiefgelaufen ist, eine Flasche Wedekind zu öffnen und an das 17 Jahre währende Pinotin-Experiment zu denken – dann kann einen eigent- lich nichts mehr erschüttern. Nachts träume ich, ich wäre mit einer von Magel- lans zerbrechlichen Naos auf einer einsamen Insel im endlosen Pazifik gestrandet. Neben mir sitzt Sebastian Elcano und berechnet den Weg zurück, aber womit fah- ren? Jetzt kommt von irgendwoher Philipp Wedekind dazu und öffnet drei Mehrweg-Bierflaschen mit Wein, fällt ein paar Palmen, bindet sie zusammen und sticht in See. Mit den Worten: „Ich schnell muss beim REWE an der Ecke zur Leergutrücknahme ...“ ab

organismen und den Wasserhaushalt des Bodens und lagere gleichzeitig CO 2 im Boden ein. Bevor wir zusammen in die Weinberge fahren, bestellen wir gegenüber für uns und sei- ne beiden Jungs Pizza. Wir erzählen, was wir machen und warum wir Papas Weine dringend verkaufen wollen. „Na okay“, meint der Jüngere, „dann verkaufen wir euch auch was.“ Glück gehabt. Am Samstag bei schönem Wet- ter ist im Weinberg, am Roten Hang bei Nierstein, ziemlich viel los. Wande- rer, Radfahrer und ein Planwagen mit einem feuchtfröhlich Junggesellenab- schied. „Das haben die mittlerweile stark reglementiert“, erzählt Philipp Wedekind, „hier fuhr eine Zeit lang Planwagen an Planwagen ...“ Für viele Winzer sei das ein willkommenes Zu- brot gewesen. Wir schauen uns seine Parzellen an, es wuchert und grünt, es summt und flattert. So stellt man sich biologischen Weinbau vor. „Tja, das muss aber alles in den nächsten Tagen raus oder besser untergepflügt werden. Das machen wir komplett mechanisch, in einigen Weinbergen sogar von Hand.“ Biomasse heißt das Zauber- wort. Das verrottende Grün belebt den Boden, gibt Nähr- stoffe und ist ein Turbo für Mikroorganismen.

seit 2008 Mitglied bei Ecovin

Ecovin ist der größte Verband ökologisch arbeitender Weingüter.

niger spritzen muss, ob bio oder konven- tionell, fährt man auch weniger im Weinberg herum. Das spart nochmal CO 2 und der Boden wird weniger ver- dichtet.“ Er verkauft zwischendurch wie- der zwei Kisten und setzt sich zurück zu uns an den Tisch im kleinen Innenhof zwischen Probierstube und Wohnhaus. „Am meisten CO 2 “, fährt er nahtlos fort, „entsteht bei Herstellung und Transport der Weinflasche. Da steckt das größte Einsparpotential.“ „Und wie?“, frage ich. „Am besten wäre es vielleicht, den Wein in eine Halbliter-Mehrweg-Bierflasche zu füllen, die ist normiert und wird bis zu 50 Mal wiederverwendet.“ Er schiebt un- gerührt hinterher: „Das probier ich dem- nächst mal aus ...“ Ich vermute, dass er auf einem Ökohof aufgewachsen ist, aber

» ES HAT SICH FÜR MICH EINFACH IMMER FALSCH AN- GEFÜHLT, IN DEN WEINBERG ETWAS VON AUSSEN HINEINZUBRINGEN, DAS NICHT AUF NATÜRLICHEM WEG ENTSTANDEN IST. «

Philipp Wedekind

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das ist natürlich nur ein Vorurteil. Er berichtet, dass seine Familie nicht viel mit dem professionellen Weinbau zu tun hatte. Die Eltern hatten allerdings zwei Hobby-Weinberge, wie das in Weinbauregionen so üblich ist, und Philipp We- dekind war schon als Kind gerne im Weinberg. So ent- schloss er sich direkt nach der Schule zu einer Winzerlehre bei Randolf Kauer. Dieser macht sich nicht nur auf seinem Weingut im Mittelrheintal, sondern auch als Dozent an der Hochschule in Geisenheim für den Ökoweinbau stark. „War für dich von Anfang an klar, dass du bio ma- chen willst?“ Er muss sich nicht einmal bemühen, bei der Frage nicht dogmatisch, sondern sehr gelassen zu wirken. „Es hat sich für mich einfach immer falsch angefühlt, in den Weinberg etwas von außen hineinzubringen, das nicht auf natürlichem Weg entstanden ist. Und was ich hier mache, ist ja auch kein Hexenwerk oder esoterisch angehaucht.“ Er zeigt dabei auf seinen neuen E-Transporter. „Ich bin sogar ziemlich technikverliebt und ich nutze alles, was sinnvoll ist. Uns hilft ja vieles weiter, die Pyrolyse zum Beispiel ...“ Und dann erzählt er ausgiebig von der Pflanzenkohle, die er im Weinberg verwendet. Die sei extrem wertvoll für die Mikro-

2022 MUSCARIS Wedekind | Rheinhessen

Wir fahren an Wein- bergen vorbei, bei denen we- nig grünt, und unter den Reb- zeilen ist es trostlos braun, fast verbrannt. „Tja, Glypho- sat, aber wenn man nur ein paar Cent für den Liter auf dem Fassweinmarkt bekommt, bleibt einem kaum etwas an- deres übrig. Die mechanische Arbeit ist eben deutlich teurer. Ich kann die Kollegen verste- hen, aber für mich kommt das

Der Muscaris hat eine vielschichtige Verwandtschaft. Die Mama hieß „Solaris“ und der Vater war der „Gelbe Muskateller“, was man auch deut- lich merkt. Er gilt als sehr erfolgreiche Züchtung – nicht nur was die Pilz- resistenz (Peronosporaresistenz) angeht, sondern er macht auch aroma- tisch einiges her. Vor allem, wenn man ihn so sorgfältig wie Philipp ausbaut und nicht zu sehr auf Duft und Würze setzt. Es gibt eine gewisse Exotik, den Gewürzduft wie beim Muskateller, aber das ist sehr fein und zurückhaltend. Mit seiner knackig feinen Frische und der eher schlanken Art erinnert er ein wenig an Sauvignon blanc. Sommerwein? Ja, aber wir würden sagen: „Nicht nur!“, denn er ist vielschichtig genug, um das ganze Jahr über Freude zu machen. Eine echte Entdeckung!

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1 | DER WELTBERÜHMTE ROTE HANG DIREKT AM RHEIN BEHEIMATET AUF RECHT KLEINEM RAUM UNTERSCHIEDLICHSTE EINZELLAGEN 2 | PHILIPP WEDEKIND IN SEINER VINOTHEK AM NIERSTEINER MARKTPLATZ – EIN ANLAUFPUNKT FÜR WEINGENIESSER

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