IHK-Global Business Ausgabe 06/2022

CORONA-POLITIK

CORONA-POLITIK

Gewinner sind Vietnam und Indien. Doch die Produktionsverlagerung lässt sich nicht immer reibungslos umsetzen. Zum Beispiel wird vieles, was in China in automatisierter Pro- duktion hergestellt wird, in Vietnam noch per Handarbeit gefertigt. Und nach wie vor ist man auf Vorprodukte oder Rohstoffe aus China angewiesen. Neben der Suche alternativer Pro- duktionsstandorte und dem Aufbau weiterer Distributionszentren werden auch Managementpositionen in ande- re Länder Südostasiens verlagert. Hier positioniert sich besonders Singapur als neue Konnektivitätsplattform und Standort regionaler Headquarter. Attraktivität Chinas sinkt massiv Die ökonomischen Folgen sind gravie- render als in der ersten Welle 2020. Laut einer Blitzumfrage der EU-Han- delskammer in China von Anfang Mai erwägen 23 Prozent der europäischen Unternehmen, ihre laufenden oder geplanten Investitionen aus China zu verlagern. Das ist der höchste Anteil seit einem Jahrzehnt, zwei Monate zuvor lag die Zahl noch im einstelli- gen Bereich. Für 78 Prozent ist auf- grund der strengen und unbere-

mie und die Schwere der Erkrankung als auch die Überlegenheit Chinas ge- genüber der Unfähigkeit des Westens und rechtfertigt damit die Notwendig- keit der Null-Covid-Toleranz. Diese Überlegenheit muss Xi Jinping nun aufrechterhalten, ins- besondere da im November 2022 der 20. Parteitag der KP China stattfindet. Dann muss Xi seine Macht konsoli- dieren. Und offen ist auch, ob die Er- nennung des neuen Premierministers Einfluss auf die weitere Covid-Strate- gie haben wird. Leere Lager und volle Häfen Shanghai fungiert als wichtigste Han- dels-, Logistik- und Finanzdrehschei- be des Landes, seit über acht Wochen ist die Metropole von der Außenwelt isoliert. Die Engpässe zeigen sich sowohl in den vor- als auch nachgela- gerten Wertschöpfungsbereichen. Der Großteil der deutschen Unternehmen berichtet von vollständigen Unter- brechungen oder erheblichen Beein- trächtigungen, da Rohstoffe und Vor- produkte nicht oder kaum verfügbar sind. In den Fabriken, die im „Closed- Loop“, also mitsamt den Mitarbeitern versiegelt, weiter produzieren dürfen, leeren sich die Lager, doch Lieferun- gen können weder die Unternehmen erreichen, noch können fertige Waren abtransportiert werden. Lkw-Fahrer kommen nicht durch die zahlreichen Sperrungen, Provinzüberschreitungen haben Quarantäne zur Folge. Nach Schätzungen ist die Verfügbarkeit von Lastwagen in Shanghai um 40 Prozent zurückgegangen. Tendenz steigend. Die Störungen betreffen alle Transportwege. An den Airports heben nur vereinzelt Maschinen ab. Flug- und Containerhäfen bleiben zwar weiterhin offen, doch Flaschen- hals ist nicht die ohnehin hochauto-

matisierte Containerverladung, son- dern die Anlieferung und Abholung der Waren per Lkw. Im Schnitt verzögert sich die Ein- fahrt der Frachter in den Hafen von Shanghai um 3,34 Tage. Die Abferti- gung dauert weitere zwei Wochen. Der Durchschlag wird sich erst in ein bis zwei Monaten zeigen und der Rück- stau wird noch bis in den Spätsom- mer 2022 andauern. Tatsächlich müssen Fabriken und Frachtführer in allen Landesteilen bis mindestens zum Herbst 2022 immer wieder mit erheblichen Störungen rechnen. Ein Großteil der Schiffe, die derzeit in Europa ankommen, hat noch vor dem Lockdown den Con- tainerhafen in Shanghai verlassen. Die Auswirkungen werden auch in Deutschland stark spürbar sein, sei es in der Industrie oder durch einen allgemeinen Preisanstieg. Viele Unternehmen haben Produktion und Einkauf für das Weihnachtsgeschäft bereits in andere Länder Südostasiens verlagert. Dies verstärkt den China+1 Trend. Einkaufsabteilungen versu- chen, für jedes Vorprodukt zumindest einen alternativen Zulieferer in Asien oder durch Nearshoring in Mittel- und Osteuropa zu erschließen. Große

Weiße Riesen (dàbái 大白 ) werden die Helfer in ihren Ganzkörperschutz- anzügen genannt. Lokale Regierungen setzen aus Angst vor Sanktionie- rung selbst bei kleinsten Ausbrüchen auf rigide Lockdowns und Massen- tests. Die daraus resultie- renden wirtschaftlichen Schäden werden in Kauf genommen.

Wie gefährdet ist die Zukunft des China-Geschäfts? Während viele Länder ihre Corona-Beschränkungen zurückfahren und zu einer gewissen Normalität zurückkehren, hält China an seiner strikten Null-Covid-Politik fest. Langzeit- folgen für die Weltwirtschaft und irreversible Imageschäden werden dabei in Kauf genommen. Was sind die Hintergründe? Welche Szenarien sind denkbar? Und welche Handlungsoptionen haben Unternehmen?

ge Impfquote in der Risikogruppe der über 60-Jährigen. Die chinesische Re- gierung scheut jedoch davor zurück, eine Impfpflicht einzuführen. Grund- sätzlich steht die ältere Generation konventioneller Medizin und beson- ders der Impfung skeptisch gegen- über. Da die Eltern in China aber großen Einfluss auf ihre Kinder und Enkel haben, fürchtet die Parteifüh- rung, dass eine Impfpflicht zu Unruhe in der Bevölkerung führen und so die Stabilität der Partei gefährden könnte. Entsprechend rigoros sind derzeit auch Chinas Zensoren unterwegs. Politisierung der Pandemiebekämpfung Die Pandemiebekämpfung ist zu einem Wettbewerb der Systeme und einer Machtprobe für Xi Jinping ge- worden. Ein Strategiewechsel wäre ein Gesichtsverlust. Seit zwei Jahren propagiert die Staatsführung die Gefahr der Pande-

Tianjin hingegen bereiten sich auf einen möglichen Lockdown vor. Die strikte Handhabung in Shanghai führt auch dazu, dass andernorts weiterhin konsequent die Covid-Maßnahmen umgesetzt werden. Alternde Gesellschaft mit geringer Impfbereitschaft Das Festhalten an der Null-Covid-Po- litik wird strukturell begründet. Eine Durchseuchung würde das Gesund- heitssystem überlasten. Während in Deutschland auf 100.000 Einwohner 33,9 Intensivbetten kommen, sind es in China nur 3,43. Weniger problematisch sind die chinesischen Impfstoffe. Anders als in den westlichen Medien dargestellt, zeigen diese eine gute Wirksamkeit – allerdings erst nach der dritten Imp- fung. Nach dem „Boostern“ bieten sie einen 85-prozentigen Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf. Das eigentliche Problem ist die gerin-

Stella Metzger IHK Rhein-Neckar

Massenlockdown statt Freedom Day

In über 100 chinesischen Städten gelten zeitweise Ausgangsbeschrän- kungen oder sie stehen unter voll- ständigem Lockdown. Dadurch sind 35 bis 40 Prozent des gesamten Bruttoinlandproduktes beein- trächtigt. Landesweit sind über 350 Millionen Menschen von Lockdown- Maßnahmen betroffen. So auch die 25 Millionen Einwohner von Shanghai, die außer zu den obligatorischen Massentests, ihre Wohnung nicht verlassen dürfen. Ende März ist das Leben in Shanghai gänzlich zum Erliegen gekommen. Dabei lag die höchste 7-Tages-Inzidenz bei 92,1, am 25. Mai betrug sie 2,0. Entsprechend soll sich die Stadt im Juni schrittwei- se wieder öffnen dürfen. Peking und

Vor dem größten Containerhafen der Welt stauen sich hunderte Schiffe, die nicht gelöscht werden können. Auch auf umliegende Häfen werden Schiffe umgeleitet, wie beispielsweise nach Ningbo, südlich von Shanghai.

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