04-2019 D

unter Kontrolle hat, dass er das Beste für uns will und wir unsere Hoffnung auf ihn setzen können. Das über- trumpft alle Nachteile. Alle vier Jahre habt ihr als Familie ein Jahr in der Schweiz verbracht. Wie waren diese Wechsel für dich? Als Kind freute ich mich immer sehr darauf, im jeweiligen Land meine Freunde und Verwandten zu sehen und fand die Wechsel spannend, auch wenn mir die Abschiede jeweils schwerfielen. Gar nicht einfach war es, als wir in meinen Teenagerjahren in die Schweiz kamen: Der Schuleinstieg war schwierig und ich wurde von meinen Klassenkameraden ausge- grenzt und als Ausländer verspottet. Dass Menschen andere so behandeln können, hatte ich bis zu diesem Zeit- punkt nicht gewusst. So wurde aus meiner Zeit in der Schweiz, auf die ich mich immer so sehr gefreut hatte, eine Zeit des Kampfes. Nach diesem Jahr wusste ich nicht, ob ich je wieder in die Schweiz zurückkehren wollte. Doch die Lehre als Automechaniker wartete schon auf mich. Einerseits war ich Gott sehr dankbar für diese Lehrstelle, gleichzeitig fürchtete ich mich davor, wieder in die Schweiz zu gehen. Aber ich durfte einen gu- ten Lehrplatz haben und später auch zwei gute Arbeitgeber, die mir sehr geholfen haben, meine negativen Eindrücke der Schweiz zu überwin- den. Heute fühle ich mich als «stol- zer» Schweizer und komme immer gerne zurück. Du arbeitest jetzt seit 2017 selber in Brasilien. Weshalb bist du nochmals ausgereist? Ich wusste schon früh, dass ich eines Tages auch so etwas Ähnliches ma- chen wollte wie meine Eltern. Gott

hat mir dann gezeigt, dass meinWeg wieder nach Brasilien führt – und zwar als Mobilisator. Während mei- ner theologischen Ausbildung in Ka- nada hat er mir die Jugend aufs Herz gelegt. Und in diese investiere ich mich jetzt zusammen mit meinem genialen Team. Inzwischen durften wir schon hunderte Jugendliche für interkulturelle Arbeit motivieren und erste Früchte unserer Arbeit sehen. Würdest du deinen Kindern auch wünschen, so aufzuwachsen wie du? Ja und Nein. Ich bete, dass Gott ih- nen die schweren Zeiten, die ich in der Schweiz hatte, erspart – aber ansonsten wünsche ich ihnen eine Kindheit, wie ich sie hatte! *Was ist ein TCK? Als Third Culture Kids (TCK), auf Deutsch Drittkulturkinder, werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die nicht in der Kultur ihrer Eltern oder in dem Land aufwachsen, das gemäss ihrem Pass ihr Heimatland ist. Kinder von interkulturellen Mit- arbeitenden sind somit typische TCK (früher häufig auch als Missionars- kinder (MK) bezeichnet). Auch Kinder von beispielsweise Diplomaten gel- ten als TCK. TCK übernehmen sowohl Gewohnheiten und Prägungen aus der Kultur des Einsatzlandes als auch aus der Kultur der Eltern. Sie sind aber in keiner der beiden Kulturen ganz zuhause und formen aus den ihnen bekannten Kulturen eine wei- tere Kultur, weshalb man von einer Drittkultur spricht. TCK finden sich meist in fremden Kulturen zurecht und sind besonders anpassungsfä- hig, erleben aber manchmal auch Wurzellosigkeit und Schwierigkeiten in der Identitätsfindung.

Joel ist der Sohn von interkulturel- len Mitarbeitenden und ein soge- nanntes TCK* – ein Third Culture Kid. Wie er das erlebt hat, erzählt er im Interview: Wo und wie bist du aufgewachsen? Joel: 1990, ein Jahr nach meiner Ge- burt, sind meine Eltern mit mir nach Brasilien ausgereist, um im Bundes- staat Piauí Gemeinden zu gründen. Ich habe meine ganze Kindheit in Brasilien verbracht und die Kultur hat mich sehr geprägt. Meine erste Sprache war Portugiesisch – ich ver- stand Schweizerdeutsch zwar von Anfang an, konnte es aber zuerst nicht sprechen. Wie hast du deine Kindheit erlebt? Sehr positiv. Nicht viele Kindern haben die Gelegenheit, in einer an- deren Kultur aufzuwachsen, von Geburt auf eine andere Sprache zu lernen und dabei noch Spass zu haben. Als Kind durften wir so ei- niges machen, was in der Schweiz nicht möglich gewesen wäre – zum Beispiel verbrachten meine Brüder und ich die Nachmittage oft auf den Bäumen in unserem Garten, gingen fischen und vieles mehr. Das war ein grosser Segen. Natürlich gab es auch Dinge, auf die wir verzichten mussten, weil wir in Brasilien mitten in der «Pampa» wohnten. Beispielsweise qualifizier- te ich mich als Kind während einem Heimataufenthalt für einen grossen Schwimmwettkampf. Schwimmen war damals meine Leidenschaft. Der Wettkampf fand jedoch genau am Tag unseres Rückflugs nach Brasilien statt – somit konnte ich nicht teil- nehmen. So hatte dieses Aufwachsen seine Vor- und Nachteile. Doch schon als Kind durfte ich lernen, dass Gott alles

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