IHK-Magazin Ausgabe 05/2022

MEINUNG

WIRTSCHAFT & GESELLSCHAFT Globalisierung am Ende?

Weltweit sind Lieferketten gestört, Wirtschaftsblöcke bilden sich heraus und schotten sich ab. Was folgt daraus für grenzüberschreitende Geschäftsmodelle? Erleben wir eine De-Globalisierung? Dazu zwei Stimmen aus Wissenschaft und Wirtschaft.

Warenaustausch geht zurück

Wir erleben eine Korrektur

WELTWEIT SIND LIEFERKETTEN und Reisemöglichkeiten gestört. Das heißt aber noch lange nicht, dass damit die Globalisierung an ihr Ende kommt. „Am Ende“ heißt ja fertig, Schluss, nichts geht mehr. Enden wird die Glo- balisierung mit Sicherheit nicht, weder als wirtschaftlicher, noch

NACH DEM ENDE DES 2. WELTKRIEGS erlebten wir einen Globalisierungs- schub, getragen vom weltweiten Abbau von Zöllen sowie der Integration Osteu- ropas und Chinas in die Weltwirtschaft. Seit 2008/09 gerät diese Entwicklung ins Stocken. Strafzölle und andere Handelshemmnisse nehmen wieder zu.

Dr. Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung in Güters - loh im Programm „Nachhaltige Soziale Markt- wirtschaft“.

Jürgen Lindenberg ist Geschäftsführer von LINDY-Elektronik GmbH. Er ist Erster IHK-Vizepräsident und Vorsitzender des IHK-Außenwirtschafts - ausschusses.

Diese De-Globalisierungs-Tendenzen sind leider kein temporäres Phänomen. Das liegt unter anderem daran, dass immer mehr Länder mit ihrer Handelspolitik auch geopolitische Ziele verfolgen. Dafür schrecken sie nicht vor dem Einsatz von Sanktionen, Importverboten etc. zurück. Zudem droht eine ökonomische Blockbildung mit demo- kratischen Marktwirtschaften auf der einen und autokrati- schen Ländern auf der anderen Seite, was die internationa- le Arbeitsteilung erschwert. Steigende CO 2 -Preise, Lieferkettenunterbrechungen und der Wunsch nach Autarkie bei essenziellen Produkten sprechen für ein verstärktes Reshoring. Das alles bedeutet jedoch nicht das Ende der Globalisie- rung. Unternehmen können weiterhin ihre Produkte im Ausland verkaufen. Dies erfolgt jedoch stärker durch eine Produktion vor Ort, was zu höheren Auslandsinvestitionen führt. Die für die Klimaneutralität erforderlichen erneuerbaren Energien können aus sonnen- und windreichen Ländern importiert werden. Das spricht aus der Sicht Deutschlands zum Beispiel für den Aufbau entsprechender Anlagen in Nordafrika. Die Globalisierung verändert also ihr Gesicht: Der grenz- überschreitende Warenaustausch geht zurück, aber die internationalen Kapitalströme nehmen zu.

gesellschaftlicher Prozess. Was wir erleben, ist viel- mehr eine Korrektur: Bestimmte Übertreibungen in der weltweiten Arbeitsteilung müssen wir korrigieren. Importeure sollten zum Beispiel ihre Lagerbestände erhöhen, um Störungen in den Lieferketten abzu- puffern. Dadurch werden importierte Produkte teurer und der Anreiz steigt im eigenen Wirtschaftsgebiet zu produzieren. Importe hängen aber nicht nur von Preisen ab („in China ist alles billiger“), sondern eben auch von Knowhow, verfügbaren Vorprodukten und Rohstoffen. Das gilt umso mehr für Rohstoffe, für die wir zwingend auf andere Volkswirtschaften angewie- sen sind. Auch gesellschaftlich werden wir uns nicht so schnell von der Globalisierung verabschieden. Scharren wir nicht alle mit den Füßen, um für ein paar Tage nach New York zu fliegen oder die Oma der Kinder in Shanghai zu besuchen? Wir müssen aus den Ereignissen der vergangenen Zeit lernen. Wir werden und müssen auf dieser Welt zusam- menleben und arbeiten. Das sollte uns bewusster sein. Bewusster für Distanzen, für lange Lieferketten, für Ab- hängigkeiten und kulturelle Unterschiede. Als Motorradfahrer weiß ich: Es geht immer um die Balance. Wir sind ins Schlingern geraten, dros- seln das Tempo ab, weichen aus, aber die Fahrt geht weiter!

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IHK Magazin Rhein-Neckar 05 | 2022

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