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5. Wie kann die Politik bzw. ganz konkret die Sozialministerin helfen? Als Sozialministerium sind wir einerseits zuständig für Beratungsinstitutionen für Menschen, die wohnungs- und obdach- los sind. Andererseits kümmern wir uns um unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen von Geflüchteten über Fami- lien mit Kindern bis hin zu Frauen, die keine Wohnung finden. Entscheidend bei all dem ist, dass wir als Sozialminis- terium eng mit dem Innenministerium zusammenarbeiten. >>
1. Ihre Familie ist fluchtbedingt in Deutschland angekommen. Wie waren Sie zunächst untergebracht? Wie ist es Ihrer Familie gelungen, eine Wohnung zu finden? Wir waren in einer Gemeinschaftsun- terkunft für Flüchtlinge in Neumünster untergebracht. Da wurde ich geboren und bin dort die ersten fünf Jahre meines Lebens aufgewachsen. Es hatte aufenthaltsrechtliche Gründe, warum wir so lange in der Unterkunft bleiben mussten. Dann durften wir sie verlassen und in unsere erste Wohnung ziehen. Es war schön, eine eigene Wohnung zu haben. Als Kind realisiert man erst, dass Dinge anders sind, wenn man feststellt, andere wohnen anders. Mein Umfeld war schließlich geprägt von denjenigen, die auch in der Gemeinschaftsunter- kunft gelebt haben. Somit sind wir erst nach Einfeld gezogen, später aber wieder nach Neumünster Faldera in die zweite Häuserreihe hinter der Unter- kunft. Von daher war diese immer sehr präsent. 2. Wie wohnen Sie jetzt? Lieblings- wohnort: Stadt oder Land? Jetzt wohne ich in einer Wohnung in Kiel. Mein Lieblingswohnort ist tatsäch- lich die Stadt. 3. Haben Sie den „Traum der ei- genen vier Wände?“ Wenn ja, wie sähe die Traumimmobilie aus? Nein, dieser Wunsch besteht nicht. Das ist nichts, was mich nachts wachhält. Ich kann aber sehr gut nachvollziehen, dass Menschen diesen Traum hegen. Es ist aber auch eine Frage der finanziel- len Mittel, ob sich das realisieren lässt. Wenn man nicht gerade geerbt und etwas angespart hat, ist das gerade bei jüngeren Menschen kaum finanzierbar. Erst recht nicht in Zeiten hoher Baukos- ten und gestiegener Zinsen. Ich glaube, es ist mittlerweile aber auch eine Ge- nerationenfrage. Viele junge Menschen wollen sich weniger fest an einen Ort
binden. Ferner kommt es darauf an, ob man ein Stadt- oder ein Landmensch ist. Auch Klimaschutz und Nachhaltigkeit spielen für viele eine Rolle. Da sind viele Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Bei der Traumimmobilie wäre es in jedem Fall Altbau. Ich mag diesen Charme und wohne derzeit auch in einer Altbauwohnung. Weniger schön ist es allerdings, wenn Fenster und Türen nicht richtig dicht sind und man für draußen heizt. Ein guter Sanierungs- zustand ist auf jeden Fall sehr wichtig. 4. Welche Herausforderungen haben Menschen mit schwierigen Voraussetzungen (Flüchtling, Woh- nungslosigkeit, Obdachlosigkeit o.ä.), eine Wohnung zu bekommen? Ich befinde mich in ständigem Aus- tausch mit den Kommunen, den Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern. Die berichten mir regel- mäßig, dass es schwierig ist, Wohnraum für Geflüchtete zu finden. Es gibt eine Tendenz, dass ukrainische Geflüchtete gerne aufgenommen werden, Geflüch- tete mit anderer Herkunft eher nicht. Das ist einfach problematisch. Wir stehen vor der großen Herausforde- rung, es hinzubekommen, dass auf der einen Seite alle möglichen Menschen Wohnraum finden und auf der ande- ren Seite diejenigen, die Wohnraum vermieten, eine Sicherheit haben, dass ihre Immobilien danach in einem guten Zustand sind. Das scheint ja die Angst zu sein, die dahintersteht. Durch sta- tistische Erhebungen zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wissen wir, dass Menschen mit Migrationsgeschich- te, egal wie lange sie hier schon leben, Diskriminierung auf dem Wohnungs- markt erfahren. Das ist die zentrale Herausforderung, vor der wir als Politik, als Privatwirtschaft und als diejenigen stehen, die staatlich bauen. Die Frage, ob ich überhaupt Chancen auf Wohn- raum habe, stellt sich nämlich vor der Frage, ob der Wohnraum bezahlbar ist.
Aminata Touré, Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein, im Gespräch mit Alexander Blažek, Vorstandsvorsitzender Haus & Grund Schleswig-Holstein. „Menschen fliehen nicht, weil ihnen langweilig ist“
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