04-2016 D

„Die Zukunft gehört denen, die an die Wahrhaftigkeit ihrer Träume glauben.“ Eleanor Roosevelt (US-Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, 1884-1962) „Traum“ ist ein vielschichtiger Begriff. Da gibt es die nächtlichenTräume, denen in vielen Religionen und ani- mistischen Kulturen eine grosse Bedeutung zugeschrie- ben wird und die in der Psychologie analysiert werden. Daneben gibt es Tagträume, Wunschträume und Le- bensträume – von letzteren spricht Eleanor Roosevelt in obigem Leitsatz. Auch Unternehmen haben Träume und Visionen, die in langen Prozessen entwickelt werden – so auch die SAM. Im Folgenden wollen wir diese verschiedenen Wortbe- deutungen ansehen und versuchen, einen Überblick über die Thematik in unterschiedlichen Bereichen zu gewinnen. Animismus und Religionen Alle Menschen träumen. Bedeutungsvolle und wegweisen- de Träume sowie Visionen sind aber in animistischen Kultu- ren und den meisten Religionen vor allem Sache der Spezia- listen – der Medizinmänner, Zauberer, Schamanen, Priester, Imame, Lamas oder, wie in der Bibel, der Propheten. Anfangs des 20. Jahrhunderts sah zum Beispiel ein Schama- ne eines nordthailändischenVolkes einen weissenMannmit Bart hoch zu Ross mit einem Buch in der Hand zu seinem Volk kommen. Er erzählte diese Vision seinen Landsleuten und legte ihnen vor seinem Tod ans Herz, diese Botschaft von Buddha anzunehmen. In der Tat kam einige Jahrzehnte später ein solcher weisser Mann – es war aber kein Buddhist, sondern ein amerikanischer Missionar auf einem Pferd. Das durch die Vision des Schamanen vorbereitete Volk nahm da- raufhin die Bibelbotschaft an. Träume und Visionen im Christentum: In der Bibel haben meist Propheten besondere Träume undVisionen – wie zum Beispiel Daniel, der in zwei Träumen die Zukunft der Welt zu sehen bekam. Aber auch andere Personen erhielten auf die- se Art Botschaften von Gott, beispielsweise der ägyptische Pharao zur Zeit von Josef, der babylonische König Nebukad- nezar oder einfache Leute wie Josef. Träume im Animismus: In animistischen Kulturen sind Träume ein Beweis dafür, dass ein geistartiges Doppelwe- sen von uns existiert und während dem Schlaf auf Reisen geht. All das, was wir im Traum sehen – und manchmal sind wir das ja selber – sind die Erlebnisse unseres geistartigen Doppels. Diese Vorstellung wurde mir zum Verhängnis, als ich in Gui- nea mit einem Imam aus dem Volk der Peul, bei dem der Is- lam und der Geisterglaube oft stark vermischt sind, die ers- ten beiden Verse der Bibel studierte: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und leer und finster, und der Geist Gottes schwebte über denWassern.“ Ich hatte die Stelle kaum gelesen, als der Imam fassungslos und kopf- schüttelnd die weitere Lektüre verweigerte. Warum wohl? Wirklich eine dumme Idee, dass Gott schlafend die Welt ge-

schaffen haben soll, während sein Geist auf Reisen ging. Die Lektüre eines solchen Buches lohnt sich der animistischen Weltanschauung dieses Imams nach ja wirklich nicht! Träume von Muslimen über Jesus: Muslime haben heut- zutage speziell oft Träume und Visionen von Jesus – manch- mal nachts im Bett, aber auch an speziellen Orten wie der Pilger-Zeltstadt in Mekka. Nach einem solchen Traum kam schon mal eine Frau in einem Hidschab – einem Kleidungs- stück für muslimische Frauen, das Körper und Kopf verhüllt und nur noch das Gesicht freilässt – in eine Frauengebets- stunde, um mehr über Jesus zu erfahren (Begebenheit aus dem Buch Träume und Visionen von Tom Doyle und Greg Webster). Psychologie und Psychiatrie Häufig sind Träume aber auch einfach ein chaotisches, un- verständliches Gemisch vergangener Erlebnisse oder, sel- tener, die Projektion von unbewussten Wünschen. Dabei haben Träume und ihre Frequenz eine hohe Relevanz für die Psychologie: Ich kann mich im Gegensatz zu anderen Menschen beispielsweise nur sehr selten an Träume erin- nern. Mein Psychiatrieprofessor erklärte mir, dass das daran läge, dass ich ein guter Verdränger sei. Einzig in der Phase, als ich mich für ein Leben mit Jesus entschied, träumte ich praktisch jede zweite Nacht. Jemand hat mir die Träume damals gedeutet – und diese Deutung kam für mich einer psychologischen Analyse gleich. Neben diesen nächtlichen Träumen gibt es noch weitere Träume, die etwas mit unserer Psyche machen: Tagträume können einerseits sehr positive Auswirkungen haben, aber auch zu Realitätsferne führen, wenn sie zeitlich überhand- nehmen. Eine positivere Auswirkung hat ein Lebenstraum, der ungeahnte Energien freisetzen kann. Auf Visionen hat die Psychologie eine negativere Sicht als die Religionen und die animistischen Kulturen: Sie bringt Visionen mit Halluzinationen in Verbindung, die durch psy- chiatrische Krankheiten ausgelöst werden. Gesunde Perso- nen haben dieser Auffassung nach daher keine Visionen. Unsere Träume und Visionen Und unsere Träume und Visionen? Stimmen sie mit Gottes Träumen und Visionen überein? Am besten finden wir das heraus, wenn wir nahe bei Gott leben, in der Bibel nachfor- schen und unsere Träume und Visionen von anderen prüfen lassen. Psalm 139,16 sagt uns, dass Gott alle unsere Tage sah und sie in seinem Buch aufgeschrieben waren, ehe einer von ihnen da war. Wenn es nun unser erstes und ernstes An- liegen ist, denTraumund die Vision unseres Schöpfers – also die Idee des Töpfers für seinen Ton, der wir sind – zu ent- decken, dann können wir darauf vertrauen, dass Gott uns auf seinem Weg führen und uns die von ihm vorbereiteten „guten Werke“ zeigen wird (Epheser 2,10). Vielleicht auch durch Träume und Visionen.

Dr. Hannes WIHER, Verantwortlicher für die Förderung der Missiologie in der Frankophonie

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