Straßenbahn Magazin

Bratislava

Die Stadt, einst Teil der Donaumonarchie, hat heute etwa 440.000 Einwohner. Seit dem Jahr 1895 verkehren elektrische Straßenbahnen. Die Verkehrsgesellschaft Dopravný podnik Bra- tislava (DPB) betreibt ein 41,5 Kilometer langes Straßenbahn- netz. Als nächste Netzerweiterung ist eine Verlängerung der Linie 3 um 3,9 Kilometer von Jungmannova bis Janíkov dvor in Bau, welche südlich der Donau den dicht besiedelten Stadtteil Petržalka anbindet. Die Fertigstellung ist für Ende 2023 geplant. Zwei Betriebshöfe beherbergen nahezu 200 Linienwagen der Typen Tatra T3, K2, T6 und Škoda ForCity Plus. Steckbrief Bratislava (Pressburg)

vom Simmering-Graz-Pauker-Beiwa- gen (SGP) Nummer 135 „abgekupfert“ wurde und dessen Erscheinungsbild be- wusst übernahm. Mit 11,2 Metern Länge, 2,1 Metern Breite und 3,2 Me- tern Höhe ohne Stromabnehmer hatte die Retro-Straßenbahn eine gefällige Ästhetik und sehr symmetrische Pro- portionen. Weil auf dem Einrichtungs- netz kein Zweirichtungsfahrzeug benö- tigt wurde, musste nur ein Führerstand eingebaut werden. Der hintere Einstiegs- raum diente dem Schaffner oder bot zusätzliche Stehplätze. Im mittig platzier- ten Fahrgastraum wurden hölzerne Längsbänke installiert. Der zwölf Tonnen schwere Triebwa- gen wurde vor Ort in der Hauptwerk- stätte gefertigt und die technischen Hauptkomponenten entweder wieder- verwendet oder neu zugeliefert. Das SGP-Fahrgestell bekam zwei Siemens Motoren vom Typ GBM 430 mit je 60 Kilowatt Leistung. Der elektrische Schalter war Marke Škoda und die Achs- lager von SKF (Svenska Kullagerfabri- ken). Das äußere Erscheinungsbild wurde durch die Frontpartie mit drei Fenstern sowie der traditionellen Farb-

Garnitur bewusst am meisten ein, um die älteren Fahrzeuge aus dem frühen 20. Jahrhundert zu schonen. Beiwagen 135 als Partner Der Beiwagen 135 ist mit Baujahr 1954 nur vier Jahre älter als der Trieb- wagen 38 und wurde anhand von ur- sprünglichen SGP-Konstruktionsplä- nen aus dem Jahr 1943 ebenfalls in der Hauptwerkstätte Bratislavas ge- fertigt. Die erste Serie dieser bewusst ein- fach gestalteten, 10,5 Meter langen An- hänger wurde 1941 beim österreichischen Produzenten SGP be- stellt, jedoch wegen der Kriegswirtschaft erst 1943 gefertigt und nur als Wagen- kasten ohne Bremsen und Radsätze ge- liefert. Diese musste der Preßburger Ver- kehrsbetrieb folglich in Eigenregie auftreiben und einbauen. Die erste SGP- Serie bestand aus 15 Beiwagen und wurde deshalb als 101 bis 115 numme- riert. Der Prototyp 101 ist heute noch in gutem Zustand im Brünner Museum er- halten und wurde wegen dem histori- schen Wert trotz mehrfacher Anfragen nicht wieder nach Bratislava zurückge- geben. Wegen steigender Nachfrage nach

Innenraum des Beiwagens 135: Die Sitzbänke mit rotem Leder entsprechen nicht dem Ursprungszustand, als ein- fache Holzbänke installiert waren. Die Lederbänke wur- den für den Nostalgiebetrieb nachgerüstet

gebung in Rot-Creme geprägt. Nur kurzer Linieneinsatz

städtischer Mobilität und öffentlichen Ver- kehrsmitteln wurde in den späten 1940er- Jahren entschieden, eine weitere Auflage der SGP-Beiwagen zu produzieren. Im neu-sozia- listischen Staat war dies ein günstige Mög- lichkeit, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Von 1950 bis 1957 wurden deshalb nochmals 32 Stück in Eigenregie produziert und als 116 bis 147 eingereiht. Dabei wurde die ursprüngliche SGP-Konstruktion leicht modifiziert, sprich vereinfacht. Das elegante Gespann von Triebwagen 38 plus Beiwagen 135 bildet verkehrshistorisch einen interessanten Kontrastpunkt zur sons- tigen Tramentwicklung der 1950er-Jahre und bleibt wegen der Spurweite auch sonst eine Ausnahmeerscheinung auf tschechischen und slowakischen Gleisen. A NDREW T HOMPSON

eine technische Wiederinbetriebnahme des Meterspurwagens zu denken war, gelang 1989 die Rückführung nach Bratislava. Dank einer umfassenden Hauptuntersu- chung (HU) konnte der revidierte Triebwa- gen 1991 als Nostalgiefahrzeug wieder in Betrieb genommen werden. Nach mehr als einem Jahrzehnt im Einsatz als beliebte Tou- ristenbahn und Sonderwagen für spezielle Anlässe erfolgte 2003 eine weitere HU für Trieb- und Beiwagen. Diese Arbeiten hatten auch das Ziel, die Garnitur aufzuwerten: Mit rund 60 Sitzplätzen ist das Gespann von Triebwagen 38 und Beiwagen 135 optimal für mittlere Reisegruppen, wird jedoch auch für öffentliche Themenfahrten eingesetzt. Dank des vergleichsweisen jungen Alters setzt der Verkehrsbetrieb DPB diese robuste

Mit dem üblichen Kurvenquietschen war der bereits bei Ablieferung historisch wirkende Triebwagen bis 1973 im Aktivdienst. Wie sich später herausstellte, war die Bahn tat- sächlich der letztgebaute Zweiachser für einen tschechoslowakischen Betrieb. Die von 1959 bis 1962 gelieferten T2 mit angepassten Meterspurdrehgestellen sowie die ab 1963 in hoher Stückzahl verkehrenden T3 machten schließlich den „Youngtimer“ im Oldie-Look überflüssig. Von 1973 bis 1974 wurde der Triebwagen 38 noch als Fahrschule einge- setzt, danach war er dank der neuen Tatra- Gelenkwagen vom Typ K2 gänzlich überflüs- sig und konnte dem Technischen Museum in Brünn (Brno) übergeben werden. Diese Institution wurde zur Zeit der so- zialistischen Staatsführung als Lagerort für ausrangierte, historische Wagen designiert und sämtliche Nahverkehrsbetriebe der Tschechoslowakei mussten repräsentative Schienen- und Straßenfahrzeuge an die ste- tig wachsende, aber wenig gepflegte Samm- lung abgeben. Triebwagen 38 verlotterte zu- sehends und weil in Brünn auf dem örtlichen Normalspurnetz sowieso nicht an

Die Rechtskurve bei der Kreuzung Vazovova – Krížna wird vom Regelverkehr nicht verwendet, deshalb konnte die historische Garnitur auf Sonderfahrt dort stehen bleiben. Das Bild entstand, wie alle Fotos dieses Beitrags, am 21. August 2015

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STRASSENBAHN MAGAZIN 7 | 2022

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