MITFAHRT AUF DER V 200
Genau in Höhe der Denkmallok 043 196 legt 221 108 mit dem E 3255 in Salzbergen einen kurzen Halt ein. Knapp drei Jahre zuvor donnerte der Öl-Jumbo noch selbst über die Emslandstrecke
ozeanblau-beige Lackierung verpasst und dabei das wunderschöne „V“ an ihren Rundungen überpin- selt. Irgendwie komme ich mit dem Lokführer auf dem Bahnsteig ins Gespräch. Der ist sehr nett, und ich frage spontan, ob eine Führerstandsmitfahrt möglich wäre. „Klar, komm mit hoch!“, so seine unkomplizierte Antwort. Also lande ich völlig ungeplant auf dem einsti- gen Diesel-Flaggschiff der Bundesbahn – und bin fotografisch nicht gut vorbereitet. Eigentlich lege ich seit 1977 Diafilme in meine Spiegelreflexkame- ra ein. Nur für Familienfotos und andere „Krims- krams-Bilder“ verwende ich noch Negativfilme, weil man davon schönere und preisgünstigere Ab- züge machen kann. Da ich Eisenbahnaufnahmen auf dieser Reise nicht eingeplant hatte, befinden sich lediglich drei Farbnegativfilme und sogar noch ein „Schwarzweißer“ mit 24 Aufnahmen in mei- nem Reisegepäck. Zudem bin ich nur mit der Zweitkamera unterwegs. Die gute Minolta ist zu Hause geblieben, damit sie am Langeooger Strand keinen „Sandschaden“ erleidet. Aber das ist für mich in diesem Moment kein Problem, denn als Dampflokenthusiast sind mir die Dieselbrummer noch nicht so ans Herz gewachsen. Schließlich ha- ben sie gerade einmal drei Jahre zuvor meinen ge- liebten, feurigen Stahltieren den Garaus gemacht. … aber ich fotografiere sie trotzdem Aber: Oben auf der Lok ist es dennoch interessant. Bis Mesum drücke ich immer mal wieder auf den Auslöser, bis die restlichen Farbbilder verknipst
sind. Warum ich aber nun kurz vor Rheine ausge- rechnet den Schwarz-Weiß-Film in die Kamera lege, weiß der Henker. Hatte ich denn gar nicht auf dem Schirm, dass der Fahrplanwechsel unmittel- bar bevorsteht? Dass in zwei Tagen die Emsland- strecke unter Strom gesetzt wird und die Diesel- herrlichkeit hier abrupt ein Ende hat? Dass die D-Züge, welche uns bei Reckenfeld und Leschede entgegenkommen, zu den letzten Schnellzügen in Ich lande auf dem Flaggschiff der DB in Sachen Diesel – und bin fotografisch nicht gut vorbereitet der Bundesrepublik gehören, die die DB mit V 200 1 bespannt? Und ich das alles auf dem Füh- rerstand einer Diesellok erlebe? Anscheinend ist es mir nicht so bewusst. Zu sehr bin ich noch auf Dampflok programmiert. Erst zwei Monate zuvor war ich in der DDR gewesen, konnte Pacifics im riesigen Leipziger Hauptbahnhof bewundern, habe im Thüringer Wald preußische Oldtimer na- mens Fünfundneunzig gejagt und bin mit sächsi- schen Meyerloks durch das Preßnitztal gezuckelt. Was sind da schon (noch) alltägliche Dieselloks im flachen Emsland?! Nach einem kurzen Halt in Rheine zeigt dassel- be Flügelsignal wie fünfeinhalb Jahre zuvor „Aus- fahrt frei“. Damals blickte ich erwartungsvoll aus dem Führerstand von 012 075. Unter der Autobrü- cke in der Ausfahrt knallten die harten Auspuff-
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LOK Magazin 09 | 2025
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