Bahn Extra

Der rumänische Nachbau einer preußischen P 8, zwei Hechtwagen und fünf Güterwagen bilden – durchaus authentisch – den Zug der 1941 angesiedelten Spielfilmhandlung. Mit ihnen sind viele gelungene Eisenbahnaufnahmen entstanden, welche das Werk bereichern

Karpaten durch die Ukraine nach Palästina will man fahren, weg von den Nationalso- zialisten und ihrenTodesschwadronen. Doch der Hindernisse sind da viele: Der Zug steht in keinem Fahrplan, ist also ein „Geisterzug“, der Streckengleise belegt und nur knapp dem Zusammenstoß mit einem Schnellzug entgeht. Partisanen wollen den Zug sprengen, die Deutschen bekommen Wind von der Fahrt, brennen das Schtetl nieder und fangen an, seine Bewohner zu suchen. Die wiederum müssen feststellen, dass auch andere ähnliche Ideen haben. Doch ihr Zug ist seinen Verfolgern immer einen Block voraus. Hinzu kommen natürlich auch die übli- chen Streitigkeiten zwischen Menschen, die längere Zeit auf zu engem Raum zusam- mengepfercht sind. Mordechai entwickelt sich zu einem strammen Nazi – Schlomo hält ihn manchmal für echter als echt –, Ge- bete müssen organisiert werden, einige be- kennen sich zum Kommunismus und wol- len zu Fuß gen Moskau, außerdem gehen die Vorräte zur Neige. Doch mit Aberwitz, Chuzpe und Humor lösen die besonderen Bahnreisenden die kniffligen Situationen und gelangen schließlich nicht ganz, aber

Zug-in-der-Landschaft-Bildern vorgestellt werden. Das Material ist – das muss positiv hervorgehoben werden – zeitgemäß, die Lok (die CFR 230 299, ein Nachbau der preußischen P 8 von 1935) wird von den Schtetlbewohnern auf Hochglanz gebracht, die Zuggarnitur (zwei Hechtwagen und fünf zweiachsige gedeckte Güterwagen) bietet innen etwas mehr Konfort als damals üb- lich, aber Mordechai liebt es halt bequem. Dass die Lok die in Rumänien weit verbrei- tete Mischfeuerung Öl/Kohle hat, ermög- licht auch den im Film dargestellten Ein- Mann-Betrieb, auch wenn das das einzige größere Manko ist, das ein Eisenbahnkun- diger monieren mag. Dass der Film nicht ins völlig überzogen- kitschige abdriftet, verdankt er auch der Musik Goran Bregovics, der Klezmer und Sinti-Klänge einsetzt und unter anderem die Bahnfahrt adäquat musikalisch beglei- tet, wobei der Freund von Dampfsound im- mer wieder auf seine Kosten kommt. Viel Witz, ein hohes Erzähltempo und ein stimmig in Szene gesetzter Zug machen den Film zu einem Vergnügen, trotz des bit- teren Hintergrundes, der keineswegs ver- harmlost wird.

Zug des Lebens (Train de vie) Frankreich, Belgien, Niederlande, Israel, Rumänien 1998 Länge: 103 Min. Farbe, 35 mm, Format 1: 1,78 Drehbuch und Regie: Radu Mihǎileanu Kamera: Yorgos Arvanitis, Laurent Dailland Schnitt: Monique Rysselink Musik: Goran Bregovic Darsteller (Rolle): Lionel Abelanski (Schlomo), Rufus (Mordechai), Clement Harari (Rabbi), Agathe de La Fontaine (Esther) u.v.a. fast ans Ziel. Sie finden sogar Gelegenheit, einen der ihren, der den Deutschen in die Hände fiel, zu befreien. Mordechai gibt hier- bei eine wunderbare Karikatur eines deut- schen Generals ... Gratwanderung mit Bahnkolorit Radu Mihaˇileanu hat mit „Zug des Lebens“ eine Tragikomödie geschaffen, die gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Groteske, Farce und Tragödie balanciert. Eine tragen- de Rolle spielt dabei der Zug, dessen Irr- fahrten mit vielen gelungenen Fahrt- und

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BAHN EXTRA 4/2022

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