Bahn Extra

BahnEpoche | STATIONEN

Wie in den späten 1960ern, so ist die V 200 alias 220 auch Anfang der 1980er-Jahre in Ratzeburg zugegen. Am 17. April 1981 kommt 220 010 am Bahnhof mit E 3180 Lüneburg – Lübeck – Kiel zum Stehen Joachim Bügel/Bildarchiv der Eisenbahnstiftung

Erinnerungen an Ratzeburg Schülerzüge und mehr Mit dem Bahnhof von Ratzeburg an der Strecke Lübeck – Lüneburg verbinde ich heute noch viele schöne Erlebnisse. Als Kind erlebte ich dort abwechslungsreichen Betrieb Von Götz Heeschen/GM

M eine Sympathie für die Bahn stammt aus der Jugendzeit. Das war in den 1960er-Jahren im Nor- den Deutschlands. Mein Vater war Förster der Stadt Lübeck. Als er 1966 eine Försterei mit einem großen Revier bei Ratzeburg be- kam, war ich auf die Bahnfahrten nach Lü- beck angewiesen, denn ein kurzzeitiger Be- such der Ratzeburger Oberschule brachte keinen Erfolg. Auch meine drei Schwestern folgten mir nach Lübeck. Ich sehe mich noch heute im leeren Klassenzimmer sonn- abends nach der letzten Stunde im Johan- neum sitzen,Vokabeln abschreiben und auf den Zug warten. Ich blickte durch die hohen Fenster zum blauen Himmel und träumte von meinen Streifzügen in den Wäldern. Bahnalltag im Sommer und Winter Ich liebte die Fahrten mit dem dunkelroten Schienenbus (VT 98), klappte den Sitz in die Position, um direkt hinter dem Lokführer zu sitzen und auf die Schienen zu gucken. Dann

brummelte der Zug los. Er hatte stets zwei Beiwagen mit Raucher- und Gepäckabteilen angekuppelt. Über die Doppelkreuzweichen vor Lübeck rumpelte er extrem langsam, denn wie ich aus Dienstgesprächen erfuhr, bestand die Gefahr, dass die zweiachsigen Wagen aus den Schienen springen könnten. Der Lokführer war hier emsig am Schalten und Bedienen der Sicherheitseinrichtung Schienenbus, V 200 und als Extra der Triebwagen VT 12 – in Ratzeburg gab es was zu erleben (Indusi). Auf offener Strecke genoss er sicht- lich die freie Fahrt und auch ich die dahin- gleitende grüne Landschaft. Unvergesslich waren die grandiosen Ausblicke auf den gro- ßen Ratzeburger See hinter Pogeez, beson- ders bei Sonnenschein und mit aufgetürm- ten Schönwetterwolken. Das Gebrummel der beiden Motoren ist mir noch heute im

Ohr, strahlt es doch eine Gemütlichkeit aus, die es so nicht mehr gibt. Angelangt in Ratze- burg, fuhr der Zug ohne mich weiter in Rich- tung Lüneburg. Ich nahm für die letzten vier Kilometer nach Hause das Fahrrad, den Bahnhofsberg hinunter und mit herrlicher Aussicht auf die Wälder meiner Heimat. Im Winter waren die Fahrten dagegen sehr mühsam. Schon um sechs Uhr in der Früh mussten wir aufbrechen. Häufig lag so viel Schnee, dass man nur im ersten Gang der Dreigangschaltung fahren konnte. Zu Monatsbeginn hatte ich als großer Bru- der die Aufgabe, die Monatskarten am Schal- ter zu kaufen, die für kinderreiche Familien vergünstigt waren und die nach dem Minister, der sie eingeführt hatte, „Wuermeling“ ge- nannt wurden. Dazu mussten wir rechtzeitig da sein, denn der Bahnbeamte war morgens um 6:30 Uhr meist allein und gut beschäftigt. Sein Arbeitsplatz war der Ratzeburger Bahnhof, ein typisch preußischer Bau vom Ende des 19. Jahrhunderts. Heute hell gestri-

70

BAHN EXTRA 4/2022

Made with FlippingBook flipbook maker