03-2014 D

WIR wollen ein gut lesbarer BRIEF sein

Die Gemeinden der BewegungPlus in Hindelbank und Burgdorf stellten sich der Herausforderung, ihr Denken und Verhalten Ausländerinnen und Ausländern gegen- über aus biblischer Sicht zu reflektieren. Zuerst beschäftigte sich die Gemeindeleitung mit dem The- ma. Danach erarbeitete Matthias Wenk, damals Pastor in beiden Gemeinden, eine zehnteilige Predigtreihe. Unter der Woche ging die Diskussion in den Kleingruppen weiter. „Bisher hat noch kaum eine Predigtreihe derart für Furore ge- sorgt wie diese. Am Anfang waren die Reaktionen eher ver- halten. Doch dann beschwerten sich manche, dass die Reihe viel zu lang sei. Anderen missfielen die„linken Predigten“. Da mussten wir zuerst einmal klären, dass das Thema Migration kein politisches ist. Vielmehr geht es um unser Verständnis von Gottes Reich und unserer eigenen Identität als Schwei- zer Christinnen und Christen. Das hat mit links oder rechts überhaupt nichts zu tun. Nach drei Monaten feiertenwir einen Abschlussgottesdienst, in dem die Leute von ihrem Erleben erzählen konnten. Ein Gottesdienstbesucher, der dem Thema zu Beginn kritisch gegenüberstand, erzählte, dass er erkannt habe, dass er in erster Linie Christ sei und erst dann Schweizer. Eine Pflegefachfrau berichtete, dass sie aufgrund der Län- ge dieser Predigtreihe ihren Gefühlen und Vorurteilen nicht mehr habe ausweichen können. Diese persönliche Konfron- tation habe dazu geführt, dass sie heute den ausländischen Patienten am Krankenbett ganz anders begegne. Wir haben auch Ausländer zum Predigen eingeladen. Bei- spielsweise legte jemand den „Brief an Philemon“ aus der Sicht eines Sans-Papiers aus. Da waren viele sehr betroffen. Dieser Prozess war ein Kraftakt, weil er zentrale Fragen der eigenen Identität ansprach.“ Aus diesem gemeinsamen Weg heraus entstand die Bro- schüre „Ausländer unter uns“ , die auf der Homepage der BewegungPlus bestellt werden kann (http://www.bewe- gungplus.ch). Darin finden wir die Aussage, dass Christinnen und Christen grundsätzlich Fremde sind auf dieser Welt und sich ihre Heimat im Himmel befindet: „Seit Jesus gilt: Heimat wird nicht geographisch und kulturell er- lebt, sondern sie ist der Ort, wo die Letzten die Ersten, die Schwa- chen die Starken und die Trauernden die Fröhlichen sind. […] Und weil wir Heimweh nach dem Reich Gottes haben, trachten wir auch zuerst nach diesem Reich und seiner Gerechtigkeit. […] Heimweh nach dem Reich Gottes bedeutet nicht, dass wir unsere politische Verantwortung nicht wahrnehmen, aber es Matthias Wenk, was waren prägende Momente in diesem Prozess?

bestimmt unser Verhalten bei Abstimmungen so, dass wir uns vorranging von der Frage, was der Gerechtigkeit Gottes ent- spricht, leiten lassen, und nicht von Fragen unserer wirtschaft- lichen Sicherheit.“ Welche konkreten Auswirkungen hatte dieses Statement bisher in eurem Fall, Matthias? „Bei den einen ist es sicher der Fall, dass sie anders abstim- men. Allerdings ist es so, dass wir als BewegungPlus grund- sätzlich keine Abstimmungsparolen herausgeben, ausser der Vorstand beschliesst es für einen speziellen Fall anders. Als Lokalgemeinde in Burgdorf haben wir uns entschlossen, die Petition gegen Lebensmittelspekulationen zu unterstüt- zen. Uns ist es aber viel wichtiger, dass wir die Ängste der Leute und die Probleme thematisieren. Wir möchten nach Lösungen suchen und eine heilende Gemeinschaft sein, in- dem wir den Migrantinnen und Migranten eine Heimat ge- ben – ohne alles zu tolerieren.“ Weiter wird in der Broschüre erklärt, dass sich Gott grund- sätzlich auf die Seite der Unterdrückten und Notleidenden stellt. „Als Gemeinde sind wir daher aufgefordert, all jenen un- sere Herzen und unsere Türen zu öffnen, die durch Vertreibung, Hunger und Krieg, Folter und Verfolgung keine Zukunft mehr in ihrer nationalen Heimat haben.“ Die Predigtreihe liegt bereits drei Jahre zurück. Haben sich die damals eingesetzten Veränderungen gehalten? „Wir merken, dass die Sensibilität für Menschen mit Migra- tionshintergrund geblieben ist, auch auf nationaler Ebene. So haben sich verschiedene Gemeinden sowie einzelne Mit- glieder in der Zwischenzeit für Asylsuchende eingesetzt, da- mit diese in der Schweiz bleiben konnten. Wir versuchen nach wie vor da zu handeln, wo wir an kon- krete Situationen gelangen und wir es mit den Menschen direkt zu tun haben. Wenn Leute Not sehen, lassen sie sich bewegen – egal wie sie abstimmen.“ In der Broschüre „Ausländer unter uns“ finden sich konkrete Vorschläge im Bezug auf die Integration: „Wo möglich versuchen wir daher, als Gemeinden solche Kurse anzubieten (Sprachkurse). Andere Möglichkeiten sind die Un- terstützung bei Hausaufgaben, Gängen zu Behörden, Beglei- tung an Elternabenden, Hilfe bei Bewerbungsschreiben etc.“ Die Gemeindeglieder werden ausserdem ermutigt, ihre Häuser für Begegnungen mit Ausländerinnen und Auslän- dern zu öffnen.

Fortsetzung auf Seite 8

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