Ausgehend von dieser Vorstellung könnte man sich künftig eine Orga- nisation leicht als ein lebendiges Netzwerk von Individuen und Gruppen vorstellen, die miteinander „im Gespräch sind“. Das passiert rings um uns her natürlich ständig – zumeist jedoch mit weitaus geringerer Wirkungskraft als es möglich wäre. Es finden zwar zwischen den Menschen durchaus vernetzte Gespräche und Interaktionen statt, aber die energetisierende Wirkung und Dyna- mik, die potenziell in ihnen stecken, kommen dabei nicht unbedingt zur Ent- faltung. Diese besonderen Merkmale machen jedoch genau das aus, was die wenigen großartigen Organisationen von der großen Mehrzahl der mittelmäßigen unterscheidet. Und es erklärt, warum Organisationen, die eine Zeit lang Großes geleistet haben, irgendwann in der Versenkung verschwinden. Die Kern- frage lautet also – wird bei den Gesprächen, die in einer Organisation geführt werden, schöpferische Kraft freigesetzt oder nicht? Die Antwort darauf hängt meines Erachtens weniger von den Eigenschaf- ten oder Fähigkeiten der Beteiligten, als vielmehr von der Qualität der Fragen ab, die den Gesprächen zugrunde liegen. Ein World Café, in dem keine Fragen auf den Tisch kommen, die wirklich bedeutsam sind und den Teilnehmern am Herzen liegen, gerät zu einem rein mechani- schen Prozess, bei dem die Leute letztlich uninspiriert miteinander
kommunizieren, von Tisch zu Tisch wandern und sich gegenseitig Bericht erstatten.
Es weckt keine Begeisterung und somit keine schöpferische Energie – und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem die meisten Organisationen darin versagen, kreative Energie freizusetzen: Die Fragen und Probleme, mit denen sich die Men- schen dort auseinandersetzen, beflügeln weder ihre Einsatzbereitschaft, noch ihre Phantasie. Nach alledem ist es erstaunlich, wie selten so etwas in World Café- Gesprächen passiert. Woran mag das liegen? Könnte es sein, dass es Menschen, die in einer gesprächs- förderlichen Atmosphäre ohne Anleitung von außen zusammensitzen, von selbst dazu zieht, sich mit bedeutsamen Fragen zu beschäftigen? Dass sie dann auf eine natürliche Weise von sich aus keine Zeit mit unwichtigen Dingen verschwenden? Finden in vielen Organisationen nur deshalb keine echten, konstruktiven Gespräche statt, weil die Menschen sich nicht auf das konzentrieren dürfen, was sie wirklich berührt – oder vielleicht sogar davon abgehalten werden? Welche externen und internen Kräfte hier auch wirken mögen, eines liegt klar auf der Hand: Das Leben ist zu kurz, um unsere Zeit mit unwichtigen Dingen zu verschwenden. Wir alle wissen, dass wir unser Augenmerk auf das richten sollten, was tatsächlich von Bedeutung ist.
10
Made with FlippingBook. PDF to flipbook with ease