I.IV Interkulturelles Lernen und Sprachanimation Sebastian Maass, interkulturelles netzwerk e.V. Der Begriff Kultur
In der interkulturellen Jugendbildung gehen viele Verantwortliche von einem erweiterten Kulturbegriff aus. Kultur wird nicht mehr mit „Nation" gleichgesetzt, auch wird es vermieden Kultur einzig im Sinne von „Hoch- kultur" mit Literatur, Architektur, Kunst und Wissenschaft zu sehen. Um Kulturen zu beschreiben, vergleicht Kohls diese in seinem Modell mit einem Eisberg 3 . Er geht davon aus, dass es Elemente – wie etwa Kleidung, Essen und Sprache, Rituale, das Ideal von Schönheit, das Gefühl von Gerechtigkeit, soziale Rollen nach Alter, Geschlecht, Beruf und Familie oder die Gestaltung des Lebensumfelds gibt, die eine Kultur definieren. Diese Elemente unterscheiden sich von einer Kultur zur anderen.
Die über dem Wasser liegenden Anteile der zu beschreibenden Kultur sind uns bewusst und für andere sichtbar. Die meisten Anteile liegen allerdings unter der Wasseroberfläche und sind auch für uns meist unbewusst und auf den ersten Blick un- sichtbar. Es ist für uns also nicht immer leicht zu erkennen, über welche Regeln, Werte und Normen sich eine Kultur genau bestimmt. In der Interkulturellen Bildung definieren wir Kultur als ein für eine bestimmte Gruppe typisches Orientierungssys- tem. Es beeinflusst das Denken und Handeln ihrer Mitglieder und bezeichnet die Zugehörigkeit zur Gruppe. Alle Beteiligten einer Begegnung – auch die Gruppenleiter*innen – sind in verschiedenen Kulturen sozialisiert: Sie kommen aus einem ländlichen oder städtischen Milieu, sind unterschiedlich
politisch informiert und engagiert, haben eine bestimmte schulische und/oder berufliche Ausbildung genossen, haben leichten oder schweren Zugang zu finanziellen Mitteln, sprechen eine oder mehrere Sprachen, sind religiös oder nicht, mögen unterschiedliche Musikstile, fühlen sich einem bestimmten Ort oder einem geographischen Gebiet zugehörig, nahmen bereits an interkulturellen Begegnungen teil, haben eventuell Fluchterfahrung, üben einen bestimmten Sport aus oder schauen ihm gerne zu, mögen Literatur oder auch nicht. Jede Person gehört also mehreren Kulturen an. Die Zugehörigkeit zu Kulturen schafft Identität und je weniger Kulturaustausch eingeübt wurde, desto mehr gewinnt die Zugehörigkeit zu den eigenen Kulturen und die Ablehnung anderer Kulturen für das Individuum an Bedeutung. Jede Kultur ist einem ständigen Wandel unterzogen, sie ist nicht statisch. Auch die Relevanz einzelner Kulturen für die Identitätsbildung der Einzelnen kann sich im Laufe der Zeit verändern. Interkulturelles Lernen In einer Jugendbegegnung bringen wir für einen überschaubaren Zeitraum verschiedene Menschen zusammen, die oft sehr unterschiedlichen Kulturen angehören. In dieser Situation gilt es einen Schatz zu heben. Ziel un- serer Arbeit ist, dass sich die Teilnehmenden in ihrer Unterschiedlichkeit kennenlernen und akzeptieren. Dabei sind Respekt und Verständnis gegenüber dem Anderen, dem Fremden, wichtige Elemente interkulturellen Ler- nens. Der Umgang mit fremden Wertvorstellungen und Verhaltensweisen kann während des interkulturellen
3 S. Kohls (1996) / Informationen zum Eisberg-Modell auf Griechisch: Αγγελοπούλου Ευανθία, Ραυτοπούλου Αντιγόνη, Στεργιοπούλου Νικολίτσα (2016) (letzter Zugriff: 04.06.2020).
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