LOST & DARK PLACES
Vergessene, verlassene und unheimliche Orte entdecken
Vom verwunschenen Mausoleum über einen Geisterbahnhof sowie Tiefbunker bis zum Kurzzeit-Bergwerk ist das eine faszinierende Mischung etwas anderer Reiseziele. Motorrad über »Lost & Dark Places Hamburg«
11 DIE GRUSELVILLA Das verlassene Fabrikanten-Anwesen
Ein verwilderter Garten mit verborgenen Ecken und eine Villa mit Geisterhaus-Charme wie aus einem Horrorfilm. Obschon seiner eigentlich idyllischen Lage ist dieses Haus ein Ort mit Gruselfaktor, der seine Geheimnisse wie einen Schatz hütet. Lindenthal Ort Gustav-Adolf-Allee, 04158 Leipzig GPS 51.39731, 12.34008 Anfahrt Mit der S3 bis Haltestelle Leipzig-Wahren, dort Umstieg in den Bus (Linie 88) bis Haltestelle Leipzig- Lindenallee. Mit der Tram (Linie 16) bis Haltestelle Leipzig, Dachauer Straße, dort Umstieg in den Bus (Linie 87) bis Haltestelle Lindenallee. Mit dem Auto die Georg-Schumann-Straße stadtauswärts bis Slevogtstraße, dann über Slevogtstraße, Louise-Otto-Peters-Straße bis Gustav-Adolf-Allee
Zu DDR-Zeiten befanden sich rund 100 Garagen auf dem Gelände. Heute stehen nur noch die Grundmauern.
Eine schaurig-schöne Villa bei Lindenthal. Ob es hier spukt? Wer weiß das schon.
Die frühere Werkstatt ist heute das Zuhause eines Flamingos.
OB ES HIER SPUKT? Wer weiß das schon. Vielleicht diejenigen, die hier einst wohnten, doch die sind schon lange fort. Heute ist hier nur noch der Wind zu Hause, der sein tägli- ches Spiel treibt, wenn er durch die kaputten Fenster hereinströmt, sich den Turm hinauf- schlängelt und durchs oene Gebälk wieder hinaussaust. Alte, knorrige Bäume sind die stummen Zeugen dieses täglichen Schau- spiels, doch ansonsten regt sich hier wohl schon seit Jahrzehnten kaum noch etwas. Wer sich der alten Villa heute nähert, kommt nicht umhin, ins Schwärmen für diesen trotz seiner Baufälligkeit, noch immer wunder- schönen Bau mit seinem Holzgiebel im Ju- gendstil zu geraten. Die Faszination für die- sen einsamen Lost Place mischt sich unwei- gerlich mit einem Bedauern, dass er dem Verfall preisgegeben ist, wo es doch solch ein schmuckes Zuhause sein könnte. Doch ob die Villa überhaupt noch zu retten ist, bleibt fraglich. Übrig geblieben ist nur noch eine architektonische Perle, deren Glanz längst ermattet ist.
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Historische Fakten, Mythen und Legenden – mitreißend erzählt, so wird die Geschichte lebendig!
HERRSCHAFTLICHER SITZ Doch was hat es nun mit dieser schaurig-schönen Villa an der Allee auf sich? So viel sei verraten: Ein nach Osten schielender Blick durchs Ge- büsch bringt ein wenig Licht ins Dunkel. Denn nur wenige hundert Meter entfernt be- ndet sich eine weitere, noch prächtigere Villa, die, im Gegensatz zu ihrer maroden Nachbarin, heute noch bewohnt und in ta- dellosem Zustand ist. Sie wurde im Jahr 1900 für den Fabrikanten Robert Andrich erbaut. Er war der Inhaber der »Pyrotechnischen Fa- brik Julius Kratze Nachfolger«, die sich hier direkt vor Ort, an der ehemaligen Breiten- felder Straße (heute Gustav-Adolf-Allee), be-
fand. Beide Villen gehörten zum Anwesen, auf dem ebenfalls die Fabrik angesiedelt war. KURZES GLÜCK Lange konnte sich Andrich an seinem herrschalichen Heim jedoch nicht erfreuen, denn er starb vermutlich im Jahr 1904; sein Name taucht ein Jahr später in den historischen Adressbüchern nämlich nicht mehr auf. Aus diesen geht auch hervor, dass an seiner statt nun seine Witwe Hedwig Inhaberin der Pyrotechnischen Fabrik an der Breitenfelder Straße 9 war. Doch ab 1914 verschwindet auch ihr Name aus den Bü- chern. Fortan nden sich keine Einträge mehr unter dem Namen Andrich an der be-
sagten Adresse in Lindenthal. Lediglich ein spannendes Detail ist den Büchern noch zu entnehmen. Denn während die Anschri der Andrichs stets die Hausnummer 9 gewesen ist, ndet sich in einem anderen Verzeichnis aus dem Jahr 1908 nun die Nummer 3 als Adresse der hinterbliebenen Hedwig. Die Vermutung liegt nahe, dass sie sich nach dem Tod ihres Gatten räumlich verkleinerte und von der großen Villa in die kleinere, heute verfallene zog. Vielleicht schmerzte sie das Andenken an ihren Robert zu sehr, viel- leicht war es ihr in dem riesigen Haus auch zu einsam geworden … Mutmaßungen über Mutmaßungen, wir werden ihre Beweg- gründe wohl nie erfahren. DER WALD IM HAUS Ein Streifzug über das Gelände oenbart die Spuren, die das fol- gende Jahrhundert hier hinterließ, nachdem die Andrichs verstorben waren. Fabrikge- bäude wurden abgerissen, andere kamen hinzu. Fest steht, dass das Areal zu DDR- Zeiten noch für unterschiedliche gewerbliche Zwecke genutzt wurde. Denn abgesehen von der alten Villa, die sich in einem bedauerli- chen Zustand bendet, stehen nur wenige Meter entfernt zwei weitere eingeschossige Bauten, deren Architektur darauf schließen lässt, dass sie wohl Mitte des 20. Jahrhun- derts entstanden sein müssen. Ein Kamin und ein in blauen Fliesen gehaltenes Bad sind, abgesehen von den Grundmauern, die einzigen Überreste einer ehemaligen Werk- statt, in deren dachlosen Räumen mittler- weile ein stattliches Wäldchen wächst. Vor- bei an einem alten Brunnen geht es von hier aus zu einem Wirtschasgebäude mit ange- gliedertem Stall. Kühe oder Schweine stehen hier längst nicht mehr, Müll und leere Blu- mentöpfe stapeln sich stattdessen in dem düsteren kleinen Verschlag. Hier stehend, of- fenbart sich einem schließlich, dass das Areal noch für einen weiteren Zweck genutzt
Der Eingangsbereich der Villa wirkt nicht gerade einladend.
wurde, denn zwischen jungen Bäumen und meterhohem Gras verstecken sich die Über- reste von rund 100 Garagen. Autos parken hier schon lange nicht mehr. Nach Jahrzehn- ten der Verwahrlosung sind bloß die zuge- wucherten Betonwände noch übrig, die wie blasse Gespenster die Schotterwege säumen. Das besondere Erlebnis Wenn Sie für einen Besuch der alten Villa nun schon einmal die Stadt verlassen haben, können Sie doch die Gelegenheit nutzen, die etwas ländlichere Gegend zu erkunden. Der kleine Ort Breitenfeld wäre zum Beispiel einen Besuch wert. Er bendet sich in weni- ger als 1 Kilometer Entfernung. Der Orts- kern ist geprägt von einem Landschaspark mit Gutshaus im neobarocken Stil. Am östli- chen Ortsrand bendet sich außerdem das Gustav-Adolf-Denkmal, das an die Schlacht bei Breitenfeld im Dreißigjährigen Krieg am 17. September 1631 erinnert, als die protes- tantischen Verbündeten Schweden und Sachsen gemeinsam in den Krieg gegen Truppen der katholischen Liga zogen und siegten.
Der hölzerne Giebel im Jugendstil ist hinabgestürzt und weist deutliche Brandspuren auf.
Mit Tipps zur Erkundung der Lost & Dark Places, um das Erlebnis voll auszukosten
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Zahlreiche Abbildungen spiegeln die ganz besondere Stimmung der verlassenen Orte perfekt wider.
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