03-2018 D

Ein Tag im Leben von Philippe Toggenburger immer mehr als genug zu tun.

Noch etwas verschlafen geniesse ich das Frühstück mit meiner Familie – französisches Baguette und Corn- flakes. Unsere drei Kinder – wann sind Kinder eigentlich je müde?! – bereiten gerade fröhlich plap- pernd ihr Znünibrot vor, als ich das Haus verlasse und mit dem Motor- rad in Richtung Atelier brause. Dort fängt die Arbeit mit den Lehrlingen pünktlich um 8.00 Uhr an. Schon eine einzige Minute Verspätung hat eine Geldstrafe zur Folge, die auch der Maître, der Lehrmeister, zu be- zahlen hat. Es ist uns wichtig, dass wir den Lehrlingen neben Fachwis- sen und praktischen Kompetenzen auch gute Werte vermitteln kön- nen. «Travail, justice, solidarité», auf Deutsch «Arbeit, Gerechtigkeit, So- lidarität», steht auf der guineischen Nationalflagge, aber genau diese Dinge fehlen in diesem Land. Wir wollen die Zeit mit unseren Lehr- lingen dazu nutzen, um mit ihnen eine gute Arbeitsmoral einzuüben – Pünktlichkeit, Freude an der Ar- beit, Fleiss, Qualität. Wir möchten sie dabei unterstützen, ihr Leben gut zu gestalten und sowohl im Beruf als auch privat ehrlich zu sein, durch- dachte Entscheidungen zu treffen und zu Fehlern zu stehen. Wir wollen ihnen vorleben, wie man Konflikte bewältigt und dass Freundschaften an schwierigen Situationen nicht zerbrechen müssen, sondern wach- sen können; wir möchten ihnen hel- fen, ein guter Sohn, Ehemann, Vater zu sein oder zu werden sowie ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft, welches die nachkommende Gene- ration positiv prägt. Im Atelier werden am Morgen als Erstes die verschiedenen Arbeits- gruppen für den Tag zusammen- gestellt und die Aufgaben verteilt. Heute braucht es Maurer für eine Baustelle, Dachdecker für eine an- dere und eine Schreinergruppe in der Werkstatt. Die Bevölkerung hier vor Ort hat unsere Arbeit zu schätzen gelernt und so haben wir Arbeit und Leben teilen

Ich schaue in der Schreinerei vor- bei. Hier läuft alles bestens – Alpha hat die Arbeit und die ihm zuge- teilten Lehrlinge gut im Griff. Er hat letztes Jahr die Lehre bei uns ab- geschlossen und wir haben ihn da- nach als Vorarbeiter angestellt. Ib- rahima, unser zweiter Vorarbeiter, betreut die Maurerarbeiten. Auch hier läuft alles gut. So gehe ich mit der Dachdecker-Equipe mit. Die Arbeit am Dachstock ist geome- trisch recht herausfordernd. Am letzten Freitag haben wir im The- orieunterricht versucht, die Dach- schrägen im Modell zu konstruie- ren. Für die meisten Lehrlinge war dies eine riesige Herausforderung. Ihre Schulbildung weist leider sehr grosse Lücken auf, das guineische Schulsystem krankt in vielen Berei- chen. Die Arbeit macht allen Spass, nur der Meister – also ich – betet im Stillen, dass der Übermut nicht zu einemSturz aus demhohen Gebälk führt. Die ernüchternde Erinnerung an meine letzte Besichtigungstour des örtlichen Spitals lässt mich die Lehrlinge zur Vorsicht mahnen. Die gemeinsame Arbeit und die Mit- tagspause bieten viel Raum für ein gutes Miteinander und wertvolle Gespräche. Nicht selten ergibt sich eine Situation, in der ich eine Ge- schichte aus meinem Leben oder dem Leben der alten Propheten teilen kann. Nach getaner Arbeit mache ich mich auf den Heimweg. Dort habe ich zuerst eine Stunde Pause vor mir, danach geniesse ich den Abend mit meiner Familie. Die Kin- der haben viel zu erzählen von der Schule und auch meine Frau Sand- ra hatte einen ausgefüllten Tag mit verschiedenen Projekten. Bald sind wir alle müde und Ruhe kehrt in unser Haus ein. In der nächtlichen Stille können wir uns erholen und den Geist für den neuen Tag vorbe- reiten.

Philippe TOGGENBURGER, ActionVIVRE Süd, Guinea

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