IHK-Global Business Ausgabe 02/2023

AMERIKAS

BRASILIEN Fachkräfte händeringend gesucht

öffentliche Bildungswesen ausgebaut werden. Eine Steuerreform soll Wohl- habende progressiv stärker belasten. Die Machtverhältnisse im Natio- nalkongress stehen jedoch einem radikalen Kurswechsel im Wege. Der linksgerichtete Lula wird Allianzen schmieden und Kompromisse ein- gehen müssen. Mangelware Fachkräfte Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bereitet vielen Unter- nehmen in Brasilien Probleme. Nach einer Umfrage des Verbands der Industrie (Confederação Nacional da Indústria, CNI) aus dem Jahr 2020 traf dies auf die Hälfte der befragten Betriebe zu. Fast alle Firmen aus den Bereichen Rohstoffe und verarbei- tendes Gewerbe gaben an, dass sich dies negativ auf die Produktivität und Qualität der Produkte auswirke. Die gezielte Anwerbung von Fach- kräften stellt in- und ausländische

Unternehmen vor große Herausfor- derungen. Für die Rekrutierung von Hochschulabsolventen und Füh- rungskräften werden oft Personal- agenturen eingesetzt. Auch das soziale Netzwerk LinkedIn spielt eine wichtige Rolle. Plattformen wie Vagas zielen auf ein breiteres Spektrum an potenziellen Beschäftig- ten. Bei der Suche nach Arbeitskräf- ten mit geringerem Ausbildungsstand helfen das nationale Beschäftigungs- system (Sistema Nacional de Empre- go, SINE) und die Gewerkschaften. Die komplexen arbeitsrechtlichen Bedingungen sollten nicht unter- schätzt werden. Agenturen unter- stützen Firmen über die Rekrutierung hinaus auch bei der Strukturierung von Arbeitsentgelten und bei der Lohnbuchhaltung. GTAI/IHK Fachkräfte hoch im Kurs: Auch in Brasilien ist qualifiziertes Personal rar und deshalb teuer. Löhne erreichen mancherorts bereits westeuropäisches Niveau.

Die Arbeitslosigkeit in Brasilien ist 2022 kontinuierlich gesun- ken. Im August fiel die offizielle Quote auf unter 9 Prozent. Das ist der niedrigste Stand seit rund sieben Jahren. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 hatte sie noch bei über 14 Prozent gelegen. Informelle Beschäftigung ist in Brasilien weit verbreitet. Anfang 2022 hatten 40 Prozent aller Erwerbstäti- gen kein formales Arbeitsverhältnis, meldet das brasilianische Statistik- amt (Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística, IBGE). Für deutsche Niederlassungen sind allerdings die formalen Arbeitsverhältnisse relevant, deren Regelungen auf dem brasilia- nischen Arbeitsgesetzbuch (Conso- lidação das Leis do Trabalho, CLT) basieren. Das Gros der Arbeitnehmer in Brasilien arbeitet in Vollzeit, Teil- zeitarbeit ist selten. In der Praxis macht es bei Verhand- lungen zu Löhnen oder Überstunden einen großen Unterschied, ob Ge- werkschaften oder andere Arbeitneh- mervertretungen involviert sind. Die offiziell registrierten Gewerkschaften vertreten gut ein Zehntel der formal Beschäftigten. Darüber hinaus haben konkurrierende Vereinigungen wie beispielsweise die freien Verbände der Lkw-Fahrer großen Einfluss. Arbeitsmarktreformen noch unklar Die Politik von Ex-Präsident Jair Bolsonaro zielte auf eine Schwächung von Gewerkschaften und Arbeitneh- merrechten. Klagerechte der Arbeit- nehmer wurden eingeschränkt und Strafzahlungen der Unternehmer im Zuge von Kündigungen reduziert. Damit gelang eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Allerdings wurde kei- ne Antwort auf den Fachkräftemangel gefunden. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat sich für eine Rücknahme ein- zelner Reformen ausgesprochen, ohne dies bislang zu konkretisieren. Arbeitnehmer und Selbstständige sollen sozial besser abgesichert, der Mindestlohn angehoben und das

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