Clausewitz

1915 6. August

1943 4. Juli

1960 17. August

Unfall oder Attentat? Der Tod Sikorskis

Großes Theater – der Prozess gegen Gary Powers

Die Zombiearmee des Zaren – der Kampf der toten Männer

N ach dem Zusammenbruch Polens 1939 geht Władysław Eugeniusz Sikorski zunächst nach Paris, kurz darauf nach Lon- don, wo er Ministerpräsident der polnischen Exilregierung wird. Sein Tod ist bis heute rätselhaft: Er stirbt bei einem Flugzeugab- sturz in der Nähe von Gibraltar, wo seine Maschine (eine modifizierte Consolidated C-87 „Liberator“ der RAF) eine Zwischen- landung auf dem Weg zurück nach England eingelegt hat. Kurz nach dem Start stürzt das Flugzeug in die Straße von Gibraltar. 16 Insassen sterben, nur der Pilot überlebt – das heißt, wenn es ein Unfall war, denn bis heute ist die Absturzursache nicht völlig geklärt, und so kann auch ein Attentat auf Sikorski durch Sabotage nicht ausgeschlossen wer- den. Ein erster offizieller Bericht nennt ein blockiertes Höhenruder als Ursache, was die polnische Luftwaffe aber höchstens als nicht zu beweisende Hypothese wertet, da sie allein auf der Aussage des Piloten beruht. Später räumt man ein, dass ein Unbekannter das Flugzeug betreten hat, als es in Gibraltar zwischenlandete, Sabotage komme also in Betracht. Britische Akten zum Tod Sikorskis bleiben noch bis 2041 unter Verschluss. Viel- leicht klärt sich dann, ob es ein Unfall oder ein Anschlag gewesen ist.

E ine Szene wie aus einem Horrorfilm: Aus der in Giftgasnebel gehüllten Fes- tung Osowiec/Ossowitz in der Nähe der Grenze zu Ostpreußen stürmen blutüber- strömte und von Chlorgas entstellte russi- sche Soldaten – sie sehen aus wie Zombies und versetzen den deutschen Gegner in Angst und Schrecken! Wie ist es zu dieser apokalyptischen Szene gekommen, die selbst für das Grauen des Ersten Weltkrie- ges ungewöhnlich ist? Alles beginnt mit der Belagerung der strategisch wichtigen Fes- tung durch die 8. Armee unter General Otto von Below im Juli 1915. Am 6. August wer- den die russischen Verteidiger mit Chlor- gas eingenebelt – da die meisten von ihnen keine Schutzausrüstung besitzen, sind sie entweder schnell tot oder zumindest nicht mehr in der Lage, zu kämpfen. Allerdings gibt es einige wenige, die der Giftwolke ent- kommen sind, sich aber dennoch in einem desolaten Zustand befinden: entweder psy- chisch völlig verwirrt und/oder physisch stark angeschlagen. Viele sind vom Blut, das sie ausgehustet haben, überströmt. Diese wenigen „zombiehaft“ wirkenden Männer (man geht von zirka 70 Soldaten aus) stürmen den deutschen Angreifern, die zahlenmäßig zwar einhundertmal überle- gen sind, aber keine Gegenwehr erwarten, entgegen. Das Bild, das sich ihnen bietet, ist so schrecklich, dass sie die Flucht ergrei- fen – die Festung bleibt in russischer Hand und die Schlacht geht als „Kampf der toten Männer“ in die Geschichte ein. Die Garnison der Festung Osowiec bei einer Parade kurz vor der „Schlacht der toten Männer“. Der Anführer des erfolgrei- chen russischen Gegenangriffes, Leutnant Wladimir Kotlinsky, stirbt später an den Folgen des Giftgases

W est-Agenten können sich während des Kalten Krieges in der streng über- wachten Sowjetunion nur schwer bewegen. Deshalb wird das U-2-Programm gestartet. „U-2“ steht für „Utility 2“ und bezeichnet ein Gleitflugzeug mit Turbotriebwerk, das so hoch fliegen kann, dass es für die dama- lige sowjetische Luftabwehr unerreichbar ist. Vollgestopft mit modernster Technik, soll es Fotografien von Militäranlagen, Rüs- tungsfabriken und weiterer wichtiger Infra- struktur machen. Francis Gary Powers ist einer der U-2-Piloten, doch bei einem Ein- satz am 1. Mai 1960 fällt das Triebwerk der Maschine aus. Powers rettet sich zwar mit dem Fallschirm, wird aber von den Sow- jets gefangen genommen. Am 17. August startet im riesigen Säulensaal des Gewerk- schaftshauses der Prozess gegen ihn, der ein Schauprozess ist – angeklagt sind eigentlich die USA, die heimlich Spionage betreiben und das Ganze durchsichtig als „ein vom Kurs abgekommenes Flugzeug zur Wetter- erforschung“ ausgeben. Der Staatsanwalt fordert zwar die Todesstrafe, aber Powers kommt mit „nur“ zehn Jahren Haft (davon sieben in einem Arbeitslager) davon. Man will der Welt zeigen, dass Moskau nicht nur ein gerechtes Verfahren führt, sondern auch milde ist. Doch bereits 1962 wird er gegen einen Sowjetspion ausgetauscht und kehrt in die USA zurück, wo er als ziviler Hub- schrauberpilot arbeitet und 1977 bei einem Absturz über Los Angeles stirbt. Powers, ganz rechts, während der Urteils- verkündung im spektakulären U-2-Spio- nagefall 1960. Die Weltpresse verfolgt das Geschehen aufmerksam, da es eigentlich ein „Kampf der Systeme“ ist – die UdSSR nutz das Gerichtsverfahren, um den „Imperialismus des Westens“ anzuklagen

Der Tod Sikorskis (im Bild) gibt bis heute Anlass zu Spekulationen: Wollte ihn Stalin aus dem Weg räumen, weil der Pole das Massaker von Katyn aufklären wollte? Oder war es Churchill? Bis heute wird diskutiert

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Clausewitz 5/2025

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