Clausewitz

Hunderte von Todesflügen

HINTERGRUND

Der Caudillo: Jorge Rafael Videla

FBI unterrichtet die Geheimdienste, Polizei und andere Organisationen südamerikani- scher Diktaturen in Spionageabwehr und die Bekämpfung von Subversion. Auch Kurse in Folter soll es gegeben haben. Die beteiligten Länder Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Bolivien und Peru vereinbaren auch den Austausch von Geheimdienstinformatio- nen über oppositionelle Gruppen, die meist länderübergreifend agieren. Erst außenpoliti- schen Spannungen zwischen Argentinien und Chile 1978 führen zu einem vorübergehenden Videla kommt 1925 als Sohn eines Obers- ten der argentinischen Armee zur Welt. Einer langen Familientradition folgend, tritt auch er 1942 der Armee bei, wird 1944 Leutnant und macht dank der Protektion seines Vaters rasch Karriere. 1954 ist er Generalstabsof- fizier, 1958 Leiter der Militärakademie und Mitarbeiter im Verteidigungsministerium. In den turbulenten 1960er-Jahren kann er unter verschiedenen Regierungen weiter die Kar- riereleiter aufsteigen, bis er 1973 Chef des Generalstabs der argentinischen Armee ist und 1975 die Beförderung zum Generalleutnant erhält. 1976 erwählt ihn die Militärjunta für die Dauer von fünf Jahren zum Präsidenten. Videla selbst zählt zu den gemäßigten Vertretern sei- ner Regierung, der er nach außen ein freund- liches Gesicht geben soll, etwa während der Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien. Dennoch gibt es gerade im Inland heftige Kritik am Terror der Regierung. Nach dem Ende der Juntaherrschaft muss sich Videla 1985 vor Gericht verantworten, wo er seine Maßnahmen auch nicht leugnet. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt, aber 1990 vom neuen Präsidenten Carlos Menem begnadigt. Es folgen neue Anklagen, etwa 1998 wegen Kindesraubes, 2001 wegen Verschwörung und 2010 nochmals wegen seiner Rolle in

DAS GESICHT DES REGIMES: General Videla ist der Frontmann der Militärjunta, die 1976 Präsidentin Isabel Perón absetzt

der Juntaregierung. Videla verbringt die meiste Zeit dazwischen unter Hausarrest. 2011 wird die Klage wegen Kindesraub neu aufgerollt und mündet in einer lebenslangen Haftstrafe, in welcher Videla 2013 stirbt.

in gewaltbereiten kommunistischen Organisa- tionen. Im März 1977 wird sie in Buenos Aires verhaftet, gefoltert und zehn Wochen später durch Genickschuss hingerichtet. Zieschank ist das Kind deutscher Auswanderer und hat in München studiert. In den frühen 1970er- Jahren ist er Teil einer Widerstandsbewegung gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet. Dabei erregt er die Aufmerksam- keit des argentinischen Geheimdienstes, wes- wegen man ihn kurz nach seiner Rückkehr nach Buenos Aires 1976 verhaftet und in ein Internierungslager steckt. Am 27. August 1976 findet man seine Lei- che zusammen mit der eines zweiten Opfers an den Ufern des Rio de la Plata. Es ist eine übliche Methode der argentinischen Todes- schwadronen, ihre Opfer aneinander geket- tet aus Flugzeugen in den Fluss zu werfen. Der argentinische Korvettenkapitän Adolfo Scilingo gesteht später ein, an solchen Todes- flügen teilgenommen zu haben, deren Zahl er auf etwa 200 schätzt. In perfider Weise wird den Opfern zuvor erklärt, dass sie außer Lan- des gebracht werden sollen. Auf dem Flug wird Musik gespielt und unter dem Vorwand einer Schutzimpfung Beruhigungsmittel

gespritzt, ehe man die Häftlinge aus dem Flugzeug wirft. Die Bundesregierung, die von diesen Ver- haftungen informiert ist, agiert sehr zurück- haltend und lobt stattdessen offiziell die Maßnahmen der Juntaregierung zur Terro- rismusbekämpfung und zur Stabilisierung der Wirtschaft. Erst 2004 beantragt Deutschland die Auslieferung des inzwischen in Hausarrest sitzenden Jorge Videla wegen des Mordes an deutschen Staatsbürgern – was der Oberste Gerichtshof Argentiniens jedoch zurückweist. Mutige Mütter Die argentinische Regierung selbst macht kei- nen Hehl aus diesen Terrormaßnahmen und spricht offiziell von einem „Guerra sucia“ (schmutzigen Krieg). Wenigstens 30.000 Men- schen verschwinden spurlos. Sie sind heute als „Desaparecidos“ (die „Vermissten“ oder „Verschwundenen“) bekannt. Im Zuge der Terrormaßnahmen fallen der Regierung auch Hunderte von Kindern in die Hände, die entweder in den Konzen- trationslagern geboren werden oder deren Mütter bei einer Razzia umkommen. Diese werden regelrecht verkauft und regimetreuen

Ende dieser Zusammenarbeit. Flug ohne Wiederkehr

Auch die bundesdeutsche Regierung unter Helmut Schmidt und Außenminister Diet- rich Genscher priorisiert die Aufrechterhal- tung wirtschaftlicher Beziehungen vor dem Schutz der eigenen Staatsbürger im Land. Etwa 100 Bundesbürger, meist linksgerich- tete politische Aktivisten und Studenten wie Elisabeth Käsemann (siehe Bild links) und Klaus Zieschank, werden von der Juntaregie- rung entführt. Käsemann hält sich seit 1970 im Land auf, beteiligt sich an sozialpolitischen Hilfsprogrammen, engagiert sich aber auch

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Clausewitz 5/2025

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