HEIKLE MISSION: Schwer angeschlage- ne Verbände der Wehrmacht sollen die Rote Armee stoppen; ein schwieriges Unter- fangen gegen eine feindliche Übermacht Foto: Scherl/Süddeutsche Zei- tung Photo PROPAGANDAFOTO: Joseph Goebbels mit Volkssturm-Angehöri- gen im zurückerober- ten Lauban; vorne rechts der mit dem Ei- sernen Kreuz II. Klas- se ausgezeichnete Wilhelm „Willi“ Hüb- ner (Jg. 1929) Foto: picture-alliance/akg-images
Dabei zeigt der Melder der Führergrena- dier-Division, der kurz zuvor mit dem Eiser- nen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet wurde, ein schüchternes Strahlen auf dem kindli- chen Gesicht. Kein Wunder: Willi Hübner ist Jahrgang 1929 und damit gerade einmal sechzehn Jahre alt. Er ist einer von zahllosen Jungen, die das NS-Regime in dieser letzten Kriegsphase als Kindersoldaten an der Ostfront verheizt. Un- ter den Stahlhelmen neben und hinter ihm lugen Gesichter von alten Männern hervor. Viel zu Jung und viel zu Alt ziehen gemein- sam ins Feld. Es sind die allerletzten Reser- ven, die Hitler als Wellenbrecher gegen die unaufhaltsame rote Flut werfen kann. Neue Frontlinie In den Wochen zuvor sieht es aus deutscher Sicht düster an der Ostfront aus. Seit Mitte Januar 1945 überrennt die sowjetische Weichsel-Oder-Operation die stark ange- schlagenen deutschen Divisionen entlang der 1.200 Kilometer langen Front von der Ostsee bis an die Karpaten. Die Rotarmisten treiben die abgekämpften Wehrmachtsolda- ten vor sich her und dringen auf das Reichs- gebiet vor. Am 30. Januar wird Königsberg einkesselt, zwei Tage später stehen die Pan- zerspitzen bei Küstrin an der Oder – rund 500 Kilometer haben Stalins Soldaten in die- sen Wochen zurückgelegt. Am 13. Februar 1945 wird Breslau abgeschnitten und die Of- fensive beginnt abzuflauen. Von Ende des Monats an kommt es nörd- lich von Lauban immer wieder zu Gefech-
ten. Bis Anfang März schaffen es die sowje- tischen Truppen, sich gegen den erbitterten Widerstand der 6. Volksgrenadier-Division, die bis zum 3. März über 100 Feindpanzer vernichtet, in den nördlichen Bezirken ein- zunisten. Major der Reserve Tschuschke, der Kampfkommandant von Lauban, kann die Kleinstadt mit den wenigen zur Verfügung stehenden Einheiten nicht halten. Mehr schlecht als recht gelingt es den aus- gebluteten deutschen Truppen, verstärkt durch Volkssturm-Einheiten und neu aus dem Boden gestampften Verbänden, ohne schwere Waffen und ausreichende Ausbil- dung, eine neue Frontlinie zu bilden. Das Re- gime bedient sich schamlos an den Wiegen und an den Bahren des Reiches; Greise und Kinder wie Willi Hübner sollen den „End- sieg" erkämpfen. Es kommt sogar vor, dass sich Jungen bereitwillig selbst bei den Ver- bänden der Wehrmacht melden; so gesche-
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Clausewitz 4/2022
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