SEEMANNSCHAFT & BORDLEBEN
bemühten, Dunkelheit und Schneegestöber zu durchdrin- gen. Dann, um 20:15 Uhr, empfing Nejedlo verstümmelte Morsesignale von der Hans Hedtoft : „An DEQW: … gese- hen? Stop …“ Nejedlo verneinte, empfing darauf: „An DEQW: … nächste in zehn Sekunden stop. Meldung an Brücke Ach- tung Rakete stop.“
ten sich noch weitere Schiffe an der Rettungsaktion: das dänische Frachtschiff H. J. Rink , das ebenfalls dänische Fracht-/Passagierschiff Umanak und das Fischereischutz- boot Teisten , das deutsche Fischereischutzboot Poseidon und der US Küstenwachkutter Campbell . Auch aus der Luft suchte man nach der Hans Hedtoft . Von Neufundland starteten amerikanische Suchflugzeuge, flogen das infrage kommende Seegebiet ab, aber mit negativem Resultat: „Stunde um Stunde starrten wir auf die gischtschäumenden Wellenberge, unter denen das Schiff verschwunden sein musste“, berichteten die Flieger. „Wir fanden keine Rettungsboote, wir sahen nur Eisberge, viele Eisberge. Glitzernde, unheimliche weißblaue Felsen in aufgewühlter See. Jedes Mal lief uns ein Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, es könnte jener sein, der den Menschen auf der Hans Hedtoft zum Verhängnis wurde.“ Sie flogen zurück, tankten in aller Eile auf und starteten erneut. Und wieder ergebnislos, auch weil eine extrem nied- rige Wolkendecke die Sicht vor Kap Farvel stark ein- schränkte. Alles Suchen aus der Luft nach dem Schiff, nach Booten, nach Wrackstücken und nach Überlebenden blieb erfolglos; die dichte, niedrige Wolkendecke ließ keine exakte und großflächige Beobachtung zu. m gleichen Zeitraum wühlten sich auch die Such- schiffe durch die wildbewegte Wellenwildnis des rauen Nordmeers, an der Spitze die Johannes Krüss . Mühsam arbeitete sich der Trawler durch das Growler- Eis, dröhnend hämmerten die eisigen Schollen immer wieder gegen die Bordwände. Die Männer an Bord suchten ohne Pause die See rund um ihr Schiff ab, mit und auch ohne Fernglas. Sie starrten sich fast schon die Augen aus dem Kopf, Schnee und Eiskörner peitschten die Gesichter, und der heulende Sturm riss sie fast von den Planken. Aber darauf achtete niemand. Sie bissen die Zähne zusammen, beseelt nur von dem einen Gedanken, nicht zu spät zu kommen. Ihr Funker stand noch in Verbindung mit seinem Kolle- gen Carl Dejligberg auf der Hans Hedtoft . Jede Antwort des Dänen machte die Runde durch das Schiff, hallte wie ein Glockenschlag der Hoffnung nach in den Männern, die mit frostroten Gesichtern, mit eisverkrusteten Bärten und Au- genbrauen nach Anzeichen des unglücklichen Havaristen Ausschau hielten. Solange der Däne noch funken konnte, bestand Hoffnung. „Wenn er wenigstens Notraketen feuern würde, dann hätten wir einen Anhaltspunkt.“ Kapitän Sierck setzte das Glas ab, die Augen schmerzten nach dem minutenlangen, konzentrierten Starren in die Dunkelheit, durch fliegende Gischt und dichtes Schneegestöber. „In der Dunkelheit sieht man rein gar nix, und das Radar bringt in dem Schnee- treiben auch nix. Funker, geben Sie an den Dänen: Können Sie Raketen feuern?“ Das war um 19:41 Uhr. Der Däne bejahte und funkte um 20:06 Uhr: „An DEQW (Funk-Rufzeichen des Trawlers): Senden jetzt Raketen stop. Meldung an Kapitän, dass Hans Hedtoft jetzt Raketen feuert stop.“ Die vom Funker alarmierte Brücke hielt Ausschau, suchte nach voraus aufsteigenden Raketen – vergeblich. Die Nacht gab nichts preis, so sehr sich auch die Augen I
W
ieder gespannte Erwartung auf der Brücke, und wieder musste der Funker die Frage seines Kollegen „gesehen?“ vernei- nen. Was konnten die Männer des deut- schen Fischdampfers jetzt noch zur Rettung
des Dänen tun? Die Zeit drängte, mit dem Leck würde sich das Schiff ganz sicher nicht mehr lange halten können, und die Vorstellung, dass die Menschen jetzt runter vom Schiff in die eisige, sturmgepeitschte See mussten, ließ auch die Hartgesottensten unten ihnen erschauern. „Funker, fragen Sie ihn, ob er noch Licht hat!“ „Antwort nein, Skipper, hat er nicht.“ „Die Scheinwerfer nach oben richten, den Lichtzauber müsste er doch sehen!“ Nejedlo betätigte um 20:21 Uhr wieder die Morsetaste: „DEQW an OXKA [Funkrufzeichen des Dänen]: … Kön- nen Sie unsere Scheinwerfer sehen, wir leuchten hoch in den Himmel stop.“ Antwort um 20:25 Uhr: „An DEQW: … können nicht sehen stop.“ Kapitän Sierck war nahe am Verzweifeln. Den Kurslinien auf der Seekarte nach müsste sein Schiff jetzt den Ort des Geschehens erreicht haben. Er wusste die Menschen auf
„Wenn der Dampfer wenigstens Notraketen abfeuern würde,dann hätten wir einenAnhaltspunkt“ Kapitän Sierck hat kaum Hoffnungen
der Hans Hedtoft in höchster Not, konnte aber nicht helfen, so sehr er sich das auch herbeisehnte. Notraketen, Schein- werfer – alles ohne Ergebnis. Er war noch nicht einmal sicher, ob der Däne überhaupt noch schwamm. Aber eine Möglichkeit zur Positionsbestimmung gab es noch. „Funker: Fordern Sie ihn auf, Peilzeichen zu senden!“ 20:30 Uhr. „An OXCA: Bitte Peilzeichen stop.“ Die Auswertung der über die Richtantenne empfange- nen Peilzeichen ergab, dass der Sender in Peilung 226 Grad stehen musste. Aber zu sehen war nichts, auch nicht der kleinste Anhaltspunkt. Um 20:41 Uhr sendete Hans Hedtoft : „OXKA an DEQW: … haben gerade OZN gepeilt 176 Grad, wir sinken langsam … es ist viel Eis hier sehr schlechte Sicht viel Schneeböen stop.“ Schweigen auf der Brücke. Es war also passiert. Die Hans Hedtoft sank, und sie würden es nicht verhindern können. Sie wussten noch nicht einmal, ob sie bei dem dichten Schneetreiben Rettungsboote würden ausmachen können.
33
SCHIFF Classic 5 | 2022
Made with FlippingBook flipbook maker