SEEMANNSCHAFT & BORDLEBEN
luft über den Nordatlantik, die Packeis und Eisberge vor sich hertrieb. Allein die Johannes Krüss meldete bis zum 31. Januar 16 treibende Eisberge. Ungeachtet der eigenen Gefahr suchte Kapitän Sierck in der Nacht weiter nach Überlebenden, wurde aber durch die südwärts driftenden Eismassen zum ständigen Ausweichen nach Süden gezwungen. Das deutsche Fischerei-Schutz- boot Poseidon hatte noch um 16:30 Uhr des gleichen Tages auf einer Position etwa 65 Seemeilen südlich Kap Farvell neben einer großen Zahl von Growlern sieben mittelgroße Eisberge ausgemacht, bis in die Abendstunden erhöhte sich diese Zahl auf 20. Erst als am Abend Südsturm aufkam, drif- tete das Eis wieder aus dem Suchgebiet heraus. Nachdem Sierck noch um 7 Uhr des 31. Januar gefunkt hatte, dass die südliche Eisgrenze bis etwa 40 Seemeilen südlich der Unfallstelle vorgedrungen sei, entschloss er sich um 16:30 Uhr aufgrund des dichten Schneetreibens und Fehlens jeglicher Sicht zur Umkehr. Er wollte noch vor Dunkelwerden aus dem Eis heraus sein, um im Hellen den Eisrand zu erreichen und dort die Nacht über zu warten. Doch das brauchte er nicht mehr. Um 21 Uhr funkte die Campbell , der die Gesamtleitung der Rettungsaktion unter- stand, es seien genügend andere Schiffe für die Suchaktion vorhanden, und man könne so die Johannes Krüss ausdem Suchverband entlassen. Der Amerikaner bedankte sich ausdrücklich für die tatkräftige Mithilfe und wünschte gute Fangergebnisse. „Na denn – auf geht’s! Maschine halbe Fahrt voraus, neuer Kurs 2-2-3 Grad!“ Kurs Labrador. Fast 30 Stunden hatten die Männer im Packeis nach Schiffbrüchigen und Trümmern der Hans Hedtoft gesucht – immer in der Gefahr, bei dem schweren Sturm und dem dichten Schneetreiben selbst einen der herumvagabundierenden Eisberge zu rammen, was ja auch fast passiert wäre. Als sie dann später nach dem ersten Not- signal die angegebene Position erreicht hatten, war von dem Schiff schon nichts mehr zu sehen gewesen. Bis 22 Uhr hatten sie an der Unfallstelle gekreuzt, mit Scheinwerfern das Gebiet abgesucht und Ausschau nach Überlebenden gehalten – vergeblich. Schweren Herzens verließen sie schließlich die Unglücksstelle; zu diesem Zeitpunkt war die Lage schon äußerst gefährlich geworden, da sie auf allen Seiten von Eisbergen umgeben waren. Nach Erreichen der Rotbarschgründe vor Labrador fisch- te der Trawler fünf Tage lang mit gutem Erfolg und kehrte dann, nach 21-tägiger Fangreise, nach Bremerhaven zurück, wo der Besatzung von offizieller Seite Dank und Anerken- nung in Form von Ehrenurkunden und Geldgeschenken zuteil wurden. Der Reeder war mit Recht stolz auf seine Männer. Aber die See vergaß nichts; sie holte sich ihr auf die- ser Reise entgangenes Opfer: Acht Jahre später kehte die Johannes Krüss von einer Fangreise nicht zurück. Ihr letzter Funkspruch datierte vom 28. Februar 1967 auf 38 Grad West, etwa 300 Seemeilen östlich Grönlands. Danach hörte man nichts mehr von dem Trawler und fand auch keine Wrack- teile. Das Ende musste so schnell gekommen sein, dass die Zeit für einen Notruf nicht mehr gereicht hatte. IN DER NÄCHSTEN AUSGABE: Bergung in Eis und Schnee – der Dampfer Taube ist auf Prerow-Bank aufgelaufen
darf ich noch einmal sagen, dass wir nur durch einen Glückszufall einem ähnlichen Ende wie die Hans Hedtoft entgangen sind. Hätten wir den Eisberg nicht direkt im Scheinwerfer gehabt, wären auch wir aufgelaufen.“ „Aber ist denn so ein Eisberg auf dem Radarschirm nicht zu erkennen?“ „Das ist in diesen Breiten sehr schwer“, erklärte Nejedlo. „Die kleinen Eisberge sind ja ständig vom Wasser überflutet. Die größeren sind fast immer vom Schnee bedeckt und schlucken die Radarimpulse, und wenn dann noch Schnee- sturm herrscht, hilft auch das beste Gerät nichts. Die Im- pulse kommen nicht zurück.“ Die abschließende Frage, ob der dänische Funker nicht noch letzte Botschaften an die Angehörigen der Besatzung durchgegeben habe, musste Nejedlo verneinen: „Das war auch sicher nicht möglich, da er ja ununterbrochen mit mir oder mit den dänischen Rundfunkstationen an Land Ver- bindung halten musste, um die Standortmeldungen durch- zugeben. Er hatte dazu einfach keine Zeit.“ nicht mehr Passagiere und Besatzungen an Bord zu lassen, wie Rettungsmittel vorhanden sind. Eine internationale Eispatrouille war eingerichtet worden, deren Schiffe auf den stark befahrenen Nordatlantikrouten einen Eiswarndienst für die Schifffahrt versahen. Und nun trotz allem das Un- glück mit der Hans Hedtoft . Wie konnte das geschehen? Fakt ist: Die Hans Hedtoft war ein brandneues Schiff, ausgestattet mit allen technischen Hilfsmitteln, und galt als das modernste und sicherste für die risikoreichen Fahrten durch die Arktis. An Bord waren drei Leichtmetall-Ret- tungsboote für je 25 Menschen, eine Motorjolle und vier für je zwölf Personen ausreichende Rettungsflöße, die sich im Wasser selbst aufblasen; außerdem ein Funkgerät mit 70 Seemeilen Reichweite. Ferner war das Schiff mit einem verstärkten Bug versehen, der jedem Packeis standhalten sollte … so jedenfalls die Schiffbauer. Und Kapitän P. L. Ras- mussen war ein aufgrund mehr als drei Jahrzehnten Eis- meerfahrt erfahrener Seemann. Nach Auffassung von Grönland-Kapitänen wollte die Hans Hedtoft aller Wahrscheinlichkeit nach einen Eisberg umfahren, dessen großer Unterwasserteil von der Brücken- wache falsch berechnet wurde. Dabei musste das Unter- wasserschiff in Höhe des achtern gelegenen Maschinen- raums von dem Eisberg messerscharf aufgeschlitzt worden sein, was auch eine Erklärung für den Ausfall der Antriebs- anlage und den schnellen Untergang wäre. Außerdem fuhr das Schiff außerhalb des Zwangsweges, auf dem jeder Eisberg gemeldet wurde. Dennoch, so Fachleute, seien Eis- berge zu der Zeit im Gebiet der Untergangsposition äußerst selten; für gewöhnlich seien sie zu dieser Zeit vom Packeis umschlossen und daher ungefährlich. Doch die außer- gewöhnlichen Wetterverhältnisse könnten das Packeis auf- gerissen haben, sodass die Eisberge frei und zu einer Gefahr für die Schifffahrt wurden. Dazu blies ein ausgedehntes Sturmtief zwischen Labrador und Island stürmische Kalt- ie Welt war erschüttert. Seit der Titanic -Kata- strophe 1912, die ja auch durch einen Eisberg, aber ebenso durch menschliches Versagen geschehen konnte, hatte sich für die Sicher- heit auf See doch einiges getan wie die Vorgabe, D
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SCHIFF Classic 5 | 2022
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