nichtungswerk ungerührt fortsetzte; wohlwissend, dass der Befehlshaber damit gröblichst gegen internationales Recht verstieß. Die Geschosse zerfetzten die Bordwände, krepier- ten im Inneren und lösten weitere Brände aus. Während die Granaten ins Schiff schlugen und es Stück für Stück ver- wüsteten, hetzten die Männer des Sprengkommandos durchs Schiff, schlugen die Sprengladungen an, öffneten die Bodenventile und entfernten die Deckel der Kondensatoren. Die Briten feuerten auch weiter, als Lüdecke das Flaggen- signal setzen ließ: „Werde einen Unterhändler schicken.“ Er wollte Zeit gewinnen; wollte die Männer des Spreng- kommandos von Bord haben, wenn die Ladungen hoch- gingen und den Kleinen Kreuzer endgültig auf den Grund der Bucht schickten. Der Unterhändler, Oberleutnant zur See Canaris, sprang ins Boot und steuerte die Glasgow an, die nun ihr Feuer einstellte und den deutschen Oberleutnant an Bord ließ. Der protestierte schärfstens auf den eklatanten Rechtsbruch, was den britischen Geschwaderchef, Senior Commander Luce, aber kalt ließ. Der entließ den deutschen Offizier mit den Worten: „Ich habe den Befehl, die Dresden zu vernichten, wo immer ich sie treffe. Andere Fragen küm- mern mich nicht, sie müssen nachher durch die Diplomatie erledigt werden.“
mandanten ein, wollte aber erst Instruktionen seiner Regie- rung einholen und das Eintreffen chilenischer Kriegs- schiffe abwarten. Am Abend dieses Tages erhielt Kapitän Lüdecke über die Übersee-Funkstation Nauen und eine angeschlossene Relaisstation eine letzte Nachricht aus Ber- lin: „Seine Majestät der Kaiser stellt Ihnen frei, aufzulegen.“ Also sich internieren zu lassen. Auch in Berlin wusste man, dass die Dresden am Ende war. apitän zur See Lüdecke hatte damit gerechnet, dass der Panzerkreuzer Kent am 9. März vor der Cumberland-Bucht erscheinen würde. Aber er konnte nicht wissen, dass die Verfolgungsjagd gestern den Panzerkreuzer dermaßen viel Kohle gekostet hatte, dass der zunächst wieder zurück nach Coronel musste, um zu bunkern. So verliefen die folgenden vier Tage ruhig, die Lüdecke mit seinen Offizieren dazu nutzte, sich auf einen Überfall der Briten vorzubereiten und ein Mindestmaß an Abwehrbereitschaft sicherzustellen. Die Dampfpinass wurde ständig unter vollem Kesseldruck ge- halten, um mit ihrer Hilfe und einer dicken Manilatrosse den Kreuzer schnell in eine günstigere Schussposition zu ziehen, wo er mehr als nur seine vier Heckkanonen ein- setzen konnte. Kutter und Rettungsboote wurden ausge- schwungen und längsseits festgemacht, um das Schiff im Falle eines Falles schnell evakuieren zu können. Am 14. März 1915, einem Sonntagmorgen, brach das Unheil über die Dresden herein. Vor Beginn des sonntäg- lichen Gottesdienstes auf dem Achterdeck wurde vom Aus- guck die sich nähernde Kent gemeldet. Der Kommandant ließ sofort gefechtsklar machen, einen zweiten Kessel für die Versorgung der Hilfsmaschinen in Betrieb nehmen und alle nicht benötigten Besatzungsmitglieder an Land schicken. Der letzte Kutter hatte eben abgelegt, da näherten sich um 8:50 Uhr von Westen her der Kreuzer Glasgow und der Hilfskreuzer Orama . Der Hafenkapitän ahnte Schlim- mes, bestieg sein Dienstboot mit der großen Nationalflagge Chiles am Flaggenstock und steuerte den Kreuzer Glasgow an, auf dem er auf Grund seiner „Flaggengala“ den britischen Verbandsführer vermutete. Auch der hoch oben in den Fleckerstand entsandte Artillerieoffizier hatte die Gefechts- flaggen an die Mastspitzen flitzen sehen und griff zum Tele- fon: „Gegner setzt Toppflaggen – greift an!“ Der Hafenkapitän kam nicht weit. Sein Dienstboot pas- sierte in knapp 50 Metern Entfernung eben das Heck der Dresden , da eröffneten die Briten das Feuer. Kapitän Lüdecke hätte es nicht für möglich gehalten, aber die Briten beschos- sen tatsächlich neutrales, chilenisches Hoheitsgebiet. Die meisten der heranheulenden Granaten krepierten am Ufer, am Strand, einige aber auch mitten im dortigen Fischerdorf, dessen Bewohner schreiend in die nahen Berge flüchteten. Schrill pfeifend heulte die zweite Salve heran, schlug kra- chend ins Hinterschiff der Dresden und verwandelte es in einen Trümmerhaufen zerfetzten, glühenden Stahls. Flam- men züngelten empor, breiteten sich schnell aus. Vergebens hatte der Kommandant die Männer der Dampfpinasse angetrieben, das Heck der Dresden herum- zuziehen, um zur Abwehr Breitseiten feuern zu können. Aber das verhinderte die starke Strömung. Das Schiff lag hilflos im Granathagel der britischen Artillerie, die ihr Ver- K
„Ich habe den Befehl, die Dresden zu vernichten, wo immer ich sie treffe. Andere Fragen kümmern mich nicht!“ Der britische Geschwaderchef lässt keine Zweifel an seinem Vorhaben
Der blanke Zynismus, fußend auf der britischen Denk- weise „Right or wrong – my country.“ (Der deutsche Oberleutnant war der spätere Admiral und Abwehrchef Canaris, der am 9. April 1945 wegen seiner Zuge- hörigkeit zum Widerstand im Konzentrationslager Flossen- bürg hingerichtet wurde.) Weiter erklärte der Brite Canaris, dass er die Dresden erbarmungslos zusammenschießen würde, wenn sie nicht sofort bedingungslos kapituliere. Damit war alles gesagt. Canaris verließ die Kent und fuhr zurück zur Dresden , wäh- rend die Briten das Feuer wieder aufgenommen hatten und die Granaten über seinen Kopf hinweg in die Bucht heulten. Kapitän Lüdecke hatte die Zeit genutzt und auch die letzten Männer von Bord befohlen, alle Bodenventile öffnen und die Zündmittel aktivieren lassen. Der Chronometer zeigte 11:15 Uhr, als zwei gewaltige Schläge den stählernen Rumpf der Dresden erbeben ließen, eine blendende Explosions- flamme schoss aus dem Vorschiff heraus, gefolgt von gelb- lich-schmutzigen Rauchwolken. Die Sprengladungen in der vorderen Munitionslast hatten gezündet. Minuten später schnitt der Bug unter, das Achterschiff mit Ruder und Schrauben hob sich steil in die Luft und glitt dann rauschend in die Tiefe der Cumberland Bay – begleitet von den tradi- tionellen Hurra-Rufen der an Land angetretenen Besatzung. Die Geschichte des deutschen Ostasiatischen Kreuzer- geschwaders hatte damit ihren Abschluss gefunden.
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