anchmal, wenn in kurzen Momen- ten das Licht angeht, erkennt man die wuchtigen grauen Betonwände und die tiefschwarzen Wasserbecken. Dann erlischt das Licht, und an den Wänden und dem Fußboden beginnt ein bunter Reigen an Bildern: Sommerlandschaften am Meer, blaue Glasfenster einer Kirche, Frauen mit Sonnenschirmen inmitten eines Blumen- feldes. Die Besucher sind eingehüllt in einen Rausch aus Farben und Bildern, dazu er- klingt Musik. Wohl nur selten zuvor wurde Kunst an einem derart seltsamen Ort wie diesem zelebriert: im ehemaligen deutschen U-Boot-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in Bordeaux. Die Stadt im Südwesten Frankreichs ist durch den Fluss Garonne mit dem Meer verbunden. Das Hafenbecken, an dem der Bunker errichtet wurde, liegt im Norden der Stadt im Viertel Bacalan und ist über eine Schleuse mit dem Fluss verbunden. Heute dümpeln in dem Hafenbecken alte Last- kähne und diverse Schiffe, die schon bes-sere Tage gesehen haben, vor sich hin. Einige von ihnen werden quasi als Wochenend-haus benutzt und halten sich gerade noch über Wasser. Neue Bestimmung Ganz anders die Umgebung des Hafens: Hier vollzieht sich eine städtebauliche Moderni- sierung, bei der die alten Hallen inzwischen durch Gebäude mit Glas und Stahl ersetzt wurden. Lediglich ein alter Lastenkran erin- nert noch an die industrielle Vergangenheit der Gegend. Heute kommen die Franzosen der schicken Restaurants wegen hierher oder um sich die 2016 eröffnete Cité du Vin anzu- sehen, ein zehnstöckiges Gebäude mit inte- ressanter Architektur, in dem sich alles um die Welt des Weines dreht. Oder wegen der „Bassins de Lumière“ – einer Kunstveranstaltung in dem noch im- mer dominierenden Gebäude am Hafen, dem riesigen grauen Betonklotz des U-Boot- Bunkers. In der Nachkriegszeit war es un- möglich, den Bunker zu sprengen oder abzu- tragen, er diente unter anderem als Lager für Firmen. Seit 2020 wird er jetzt als giganti- sches Zentrum für digitale Kunst genutzt. M
Wer sich dem fast 20 Meter hohen und 42.000 Quadratmeter umfassenden grauen Koloss nähert, sieht noch immer die Ein- schüsse an den Wänden. Von der Hafenseite aus sind die Tore zu den ehemaligen U-Boot- Docks zu erkennen. Ab September 1940 war hier der Ausgangspunkt für die Feindfahrten der italienischen und später der deutschen U-Boote, die den Atlantik durchkreuzten. Im Hafenbecken waren zunächst 32 italieni- sche U-Boote der 11. Gruppo di Sommer- gibili stationiert, die bis nach Cap Verde und zur brasilianischen Küste hin operierten. Geschützt wurden sie durch Tarnnetze. Renoir, Monet, Chagall Im September 1941 begann die Organisa- tion Todt mit der Konstruktion des U-Boot- Bunkers. Der Bau dauerte 19 Monate, 6.500 Arbeiter, darunter ein Drittel Gefangene aus dem Spanischen Bürgerkrieg, arbeiteten Tag und Nacht an den Fundamenten. Der Bunker bestand aus zwei Gebäuden: vorn die elf Docks zum Schutz der U-Boote, dahinter elf Werkstätten. Die Decke bestand aus neun Meter Beton. Im Mai 1943 wurde der Bunker an die Marine übergeben. Ab Januar 1943 waren hier 43 deutsche U-Boote stationiert, die im Atlantik operierten. Der Bunker in Bordeaux war mehrfach Ziel alliierter Luftangriffe, doch er wurde nie ernsthaft beschädigt. Treibstoffe und Torpe- dos waren außerhalb gelagert und wurden über eine Pipeline und einen Gleisanschluss herangebracht. Im August 1944 verließ die deutsche Bunkerbesatzung Bordeaux, zwei Tage später rückten die alliierten Truppen ohne Kämpfe in die Stadt ein. Der Hafen war voll gesunkener Schiffe. Die französische Marine übernahm den weitgehend intakten Bunker, den zwischen 1960 bis in die späten 1990er-Jahre dann private Firmen nutzten. Aber bereits 1965, 1978 und 1980 diente das Bauwerk Künst- lern als Räumlichkeit für ihre Projekte. 2018 beschloss die Stadt Bordeaux, vier der U-Boot-Docks als Kunstraum zur Ver- fügung zu stellen. Unter der Bezeichnung „Bassins de Lumières Bordeaux“ finden dort seit 2020 Kunstinstallationen statt. So waren bis diesen Januar unter dem Titel „Monet, Renoir, Chagall – Reise um das Mittelmeer“ Projektionen von Bildern dieser Künstler zu sehen. Die jetzige Projektionsshow trägt den Namen: „Venise. La Sérénissime“ und hat Ve- nedig zum Thema. Dabei werden die Docks quasi mit Farben geflutet – ein hochinteres- santes Kunsterlebnis, das in keinem größe- ren Widerspruch zur ursprünglichen Nut- zung des Bunkers stehen könnte.
INFO
Bassins des Lumières Impasse Brown de Colstoun 33 300 Bordeaux www.bassins-lumieres.com Eintritt: 13 Euro
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SCHIFF Classic 5 | 2022
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