Flugzeug Classic

Göring überwindet seine scheinbare Ner- vosität im Handumdrehen. Das hier ist keine Herausforderung für ihn. Die Aufmüpfigen brauchen zuerst einmal richtigen Zeitdruck; zweitens läßt er durch Koller eine Reihe von Kommodores nach Berlin befehlen, die nicht zum engsten Kreis der Konspirateure gehö- ren und deren Forderungen nur im Groben kennen. Eilig werden Hermann Graf, Ger- hard Michalski, Helmut Bennemann, Kurt Bühligen, Erich Leie und Herbert Ihlefeld von ihren Geschwadern in die Reichshaupt- stadt geholt. Man wird sehen, was von diesen Forderungen und dem geschlossenen Wider- stand übrigbleibt, wenn erst einmal alle bunt gemischt vor ihm sitzen. Am 22. Januar um 12:00 Uhr ist es soweit. Die Forderungen der Flieger Die Verschwörer haben die beiden letzten Tage und Nächte durchgearbeitet, um etwas Schlüssiges zu Papier zu bringen. Das muß jemand vortragen. Günther Lützow greift sich die sechs Blätter. Er wird es machen. Noch einmal überfliegt er die Zei- len, bevor Göring mit seinem Chefadjutan- ten Bernd von Brauchitsch und General- stabschef Koller den Raum betritt: »Die Jagdwaffe erlebt zur Zeit aufgrund der vorgenommenen bzw. geplanten Perso- nalveränderungen eine schwere Krise. Folgende Gründe führten zu dieser Krise: 1.) Der Abgang General Galland wird von der Truppe nicht verstanden, da er in der Waffe als der überragendste Kopf und Führer anerkannt ist und – trotz seiner Härte nach unten – das Herz der Jagdflieger besitzt. 2.) Oftmaliger Vorwurf der Feigheit der Jagdflieger von Seiten des Herrn Reichsmar- schalls, obwohl gerade die Jagdwaffe Ver- luste erlitten hat wie wohl kaum eine Waffe, auch nicht eine in anderen Wehrmachtteilen. Wenige Monate nach der Meuterei, im April 1945, startete Günther Lützow mit dieser Me 262 von München-Riem, um US-Bomber abzufangen. Er sollte nicht mehr zurückkehren Zeichnung Claes Sundin

schon längst für einen »…Theatermann, der nur Kokolores redet.« Hans-Heinrich Brustellin schlägt vor, es über die SS zu versuchen. Man könne bei dem SS-Obergruppenführer Otto Ohlendorf vorfühlen, ob Himmler den Sturz Görings bei Hitler unterstützen wolle; Ohlendorf sei ihm persönlich bekannt. Wenn das erfolglos bliebe, fügt Hannes Trautloft hinzu, müsse man eben den Generalobersten Ritter von

Absetzung sie eben noch besprachen, ihnen die Gnade einer Audienz gewährt, aber der läßt sich gar nicht lange bitten: Bereits am 20. Januar ist er ganz Ohr. Hannes Trautloft erinnert sich: »Am 20. Januar 1945 war ich mit Franzl und Rödel beim Reichsmarschall im Haus der Flieger, um ihm in voller Klarheit über die Stimmung in der Jagdfliegerei nach Dienstenthebung von Galland zu berichten.

Der Aufstand scheitert im Ansatz, denn Ohlendorf und Greim lassen die Verschwörer abblitzen

In aller Schärfe tragen wir dem Reichsmar- schall den Grund der Vertrauenskrise vor und schlagen ihm vor, General Galland unter allen Umständen auf seinen Posten als Gene- ral der Jagdflieger zurückzuholen. Der Reichsmarschall ist sehr nervös und unsicher. Als Ergebnis unserer Ausführungen wird jedoch eine Besprechung mit mehreren Jagd- flieger-Kommodores für den 22. Januar in Aussicht gestellt. Wir arbeiten in aller Eile dafür eine Denkschrift aus.«

Greim dafür gewinnen, das Heft in die Hand zu nehmen. Bei alledem fällt den Verschwö- rern gar nicht auf, daß Adolf Galland, für den sie sich in die Zone der Kopfschüsse begeben wollen, in eigener Sache nicht das Geringste unternimmt, obwohl er nichts mehr zu ver- lieren hat. Nach Steinhoffs Darstellung erscheint Galland erst bei diesem Stand der Dinge, um sein Plazet zu geben. Er läßt put- schen; selbst versucht er es nicht. Audienz bei Göring So scheitert der Aufstand schon im Ansatz. Otto Ohlendorf läßt Brustellin, Steinhoff und Hauptmann Hugo Keßler vom Stab des Generals der Jagdflieger kalt ablaufen. Robert von Greim, wenig später von Günther Lüt- zow und Johannes Steinhoff in seinem Gefechtsstand an der Ostfront aufgesucht, gibt sich den jungen Männern verständnis- voll, verweigert aber seine Unterstützung. Stattdessen informiert er unverzüglich den Chef des Generalstabs der Luftwaffe, Karl Koller, über den Sturm im Wasserglas. Weni- ge Tage später sitzen Günther Lützow, Johan- nes Steinhoff und Gustav Rödel vor Koller, um ihre Anliegen vorzutragen. Dieser mel- det die Konspiration seinem Oberbefehls- haber Hermann Göring und schlägt ihm vor, die Herren zu einer »… offenen und reini- genden Aussprache« zu empfangen. Nun müssen sie warten, bis der Mann, dessen

Die Meuterer hofften, über den Otto Ohlendorf Himmlers Unterstützung zu bekommen – vergeblich Foto pa/SZ Photo

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FLUGZEUG CLASSIC 9| 2025

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