BIWE_2024_Flipbook

Was ist Existenzielle Pädagogik und wozu ist sie gut?

Ein Fachbeitrag von Eva Maria Waibel

Das Programm „Gemeinsam stark werden" fördert die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in elementa- ren Bildungseinrichtungen und wird 2024 erstmals in der BIWE angeboten. Es trägt zur Prävention von Sucht, Gewalt, Suizid und psychischen Störungen bei. Dabei integriert es die Existenzielle Pädagogik basierend auf der Sinnlehre von Viktor Frankl. Eva Maria Waibel, die die Existenzielle Pädagogik im Austausch mit Kolleg:in- nen entwickelt hat, erläutert diesen Ansatz im folgen- den Beitrag. In der Existenziellen Pädagogik betrachten wir das Kind als eigenständiges Wesen, das wir unter allen Umständen achten und wertschätzen. Das bedeutet, dass wir auf Au- genhöhe mit dem Kind agieren, es in seinem Wesen ganz ernst nehmen und nicht über das Kind „verfügen“. Wir fragen uns in der Erziehung nicht als erstes, was wir tun sollen, sondern versuchen zuerst, das Kind zu verstehen. Dabei nehmen wir den ganzen Menschen in den Blick. Wir lassen uns dabei auch nicht durch ein vordergrün- dig herausforderndes Verhalten, eine Einschränkung, eine Diagnose ... leiten. Wir fragen die Person, wie sie mit ihrer Situation, ihrem Konflikt, ihrer Vergangenheit ... um- geht und unterstützen sie darin, eigene, stimmige Ant- worten dafür zu finden. Wir wollen den Kindern Mut ma- chen, ihr Leben aktiv in die Hand zu nehmen. Anfragen wie „Was sagt dir das?“, „Wie geht es dir (jetzt) damit?“, „Woran siehst du das?“, „Was würde dir (dabei) helfen?“ ... unterstützen uns dabei. Diese Herangehensweise verän- dert Beziehung und Erziehung und steht im Gegensatz zum üblichen „Ansagen“. Die Existenzielle Pädagogik ist eine personale Pädago- gik, die bei der Person des Kindes (und der Erziehenden) ansetzt. Existenziell ist sie in dem Sinne, dass sie uns hilft, Kinder darin zu begleiten, ein für sie gutes Leben zu führen, ein für sie erfülltes, sinnvolles Leben mit innerer

Zustimmung. Das erfordert einen offenen Dialog mit der Welt und ihren Anforderungen.

Ziel ist es, dem Kind ein fundamentales Grundvertrauen in die Welt, ein positives Gefühl für das eigene Leben, ei- nen stabilen Selbstwert und inspirierende Sinnmöglich- keiten zu eröffnen. Ziel ist es, die Potenziale des Kindes zu erkennen und ihm dabei zu helfen, diese zu entfalten. Ziel ist es, die Selbstgestaltung des Kindes anzuregen. Dazu bieten wir den Kindern Raum, Schutz und Halt, stützende Strukturen sowie Gestaltungsräume. Wir le- ben und agieren aus der eigenen Beziehung zu den Kindern heraus und vermeiden alles, was Beziehung stört. Wir fördern das Kind aber auch darin, Beziehung zu Tieren, Dingen und Themen aufzunehmen, wie etwa das Ausüben eines (Lieblings)Sports, das Erlernen eines Musikinstruments, das Singen in einem Chor, die Ge- meinschaft bei den Pfadfindern, das Helfen beim Ju- gendrotkreuz, ... aber auch kreatives Gestalten und reli- giöses Erleben. Alles, was das Kind für sich als anziehend und wertvoll empfindet, hebt seine Freude am Leben. Wir respektieren, beachten und wertschätzen es in sei- nem eigenen, speziellen Wesen und versuchen diesem gerecht zu werden. Wir wollen es nicht beständig anders haben, es darf so sein, wie es ist. Das heißt nicht, dass wir grenzverletzendes Verhalten des Kindes tolerieren. Unser Grundprinzip ist, zwischen Person und Verhalten zu trennen. Schließlich machen wir uns mit dem Kind auf die Suche nach dem, was es spannend findet und an- zieht, eröffnen ihm Tätigkeitsfelder, in denen es dieses ausprobieren und umsetzen kann. Dabei stärken wir das Kind im Umgang mit – manchmal herausfordernden – Lebenssituationen und befähigen es, gut damit und mit sich selbst umzugehen. Dieser offene Dialog mit sich und der Welt gibt Sicherheit im Leben, steigert die Le- bensfreude, stärkt die eigene Person und eröffnet Pers- pektiven für das eigene Leben.

Eva Maria Waibel Mitbegründerin und Leiterin des Instituts für Existenzielle Pädago- gik, Pädagogin, Psychotherapeutin, Vortragende und Autorin von „Haltung gibt Halt. Mehr Gelas- senheit in der Erziehung“ „Erziehung zum Sinn – Sinn der Erziehung. Grundlagen einer Exis- tenziellen Pädagogik Erziehung zum Selbstwert“ „Persönlichkeitsförderung als zent- rales pädagogisches Anliegen“ u.v.m.

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