BIWE_2024_Flipbook

Die Entwicklung der Existenziellen Pädagogik erfolgte dadurch, dass bei allgemeinpädagogischen Themen wie Erziehungsbedürftigkeit, Erziehungszielen, Erziehungs- mitteln, Erziehungsmaßnahmen, Beziehung, Umgang mit herausforderndem Verhalten etc. gezielt in den Vor- dergrund gerückt wurde, was die Person stärkt und was sie dabei unterstützt, ein sinnerfülltes Leben anzubah- nen. Die Basis der Existenziellen Pädagogik bilden die Logotherapie und Existenzanalyse von Viktor Frankl und die Existenzanalyse von Alfried Längle. Somit beruht die Existenzielle Pädagogik auf einer fundierten, empirisch basierten Theorie, einer geisteswissenschaftlichen Psy- chologie bzw. Psychotherapie. Diese gibt – im Gegen- satz zu einer allgemeingültigen Ethik – die Themen nicht direkt vor, sondern zeigt die formalen und strukturel- len Bausteine für ein gutes Leben auf. Aus den zentralen menschlichen Lebensthemen wird das praktische, päda- gogische Handeln abgeleitet, ganz auf das jeweilige Kind und seine Situation abgestimmt. Insofern beschäftigen wir uns in der Existenziellen Päd- agogik nicht nur mit dem „Wie“ der Erziehung, sondern auch mit dem „Was“. Denn die in ihr enthaltenen Le- bensthemen bilden einerseits eine Landkarte für die ge- sunde Entwicklung des Kindes. Andererseits vermitteln sie sinnstiftende sowie lebenspraktische Inhalte. Das Schöne ist, es handelt sich um ein ganzheitliches Kon- zept. Dies erfordert zwar unsere Auseinandersetzung damit, lässt uns danach aber frei, mit innerer Stärke und Ruhe vor allem auch herausfordernde Erziehungssitua- tionen zu meistern.

Mit anderen Worten: Wir arbeiten mit dem Kind an des- sen Realitäts-, Wert-, Selbst- und Sinnbezug. Auf die- se Art gestärkte Kinder zeigen selten herausfordernde Verhaltensweisen wie Angst, Depressivität, Suizidalität, Aggression, Sich-in-den-Vordergrund-Spielen, Wert- und Sinnlosigkeitsgefühle, Burnout, Sucht, ... Sie können sich besser abgrenzen und selbstbewusster Übergriffen (bspw. allen Formen von Gewalt, einschließlich sexuel- len) gegenübertreten. Das Schöne ist, es handelt sich bei der Existenziellen Pädagogik um ein ganzheit- liches Konzept. Da wir die Person ins Zentrum stellen, nehmen wir auch die Erziehenden in den Blick, mit ihren Einstellungen und Wertvorstellungen, mit ihrer Erziehungsbiografie und ihren vielleicht noch nicht verarbeiteten Erlebnis- sen. Denn Erziehende arbeiten ganz wesentlich mit ihrer Person. Diese bildet gleichsam ihr Erziehungsinstru- ment. Daher unterstützen wir diese darin, ihre eigenen Themen zu reflektieren, allenfalls zu bearbeiten und eine wertklare Haltung zu entwickeln. So stärken sie sich für ihre Erziehungsaufgabe. In der Regel erfahren sie die Auseinandersetzung mit sich selbst als Gewinn und erleben Erziehung als Schrittmacher für die eigene Ent- faltung. Das gibt ihnen und den Kindern einerseits Halt, aber auch Gelassenheit. So kommen wir zu unserer pädagogischen Leitfrage: „Was braucht dieses Kind jetzt von mir?“ Diese Frage führt uns zum konkreten Kind, zu seiner momentanen Situa- tion und zu uns selbst – und nicht dazu, die Verantwor- tung auf andere abzuschieben. Diese an der Person und ihrer Situation interessierte Haltung dem Kind gegenüber führt uns in Offenheit zu uns selbst, auf das, was das Kind in der momentanen Situation wirklich braucht.

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