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der Inkabaukunst spazieren: ein zwölfeckiger Stein, der akkurat in die sich nach oben verjüngende und dadurch recht erdbebensichere Mauer des einstigen Herrscherpalastes eingefügt ist. „Obwohl die Spanier nach der Eroberung Cuscos 1533 versuchten, das Christentum einzuführen, hat vieles aus der alten Religion überlebt. Denn die Inka waren schlau, sie tricksten die Spanier aus, um weiterhin ihre eigenen Götter anzubeten.“ Etwa die Berge: Zwar setzten die Eroberer als Geste der Dominanz Kreuze auf Gipfel, doch die Indigenen verewigten ihre Berggötter auf Kirchengemälden in den Kleidern von Heiligen. Und sie sollen bei Zeremonien weiterhin ihre Mumien umhergetragen haben – versteckt in Holzkästen, auf die sie die verordneten Kreuze stellten. Mit Seele und Würze Abends treffen wir im Zentrum Cuscos eine Gastro­ nomin, die sich der Aufwertung der indigenen Kul- tur verschrieben hat. Rocio Zuñiga bietet in ihrem Restaurant Nuna Raymi modern interpretierte perua- nische Küche „mit Seele und Würze“. Schon als Kind durfte sie als Einzige in den Küchen ihrer Großmutter und Tante beim Abschmecken helfen. Vor 18 Jahren eröffnete sie ihr eigenes Restaurant. Der lokale Fokus entwickelte sich erst allmählich. „Das kam mit dem Bewusstsein dafür, wie sehr alles Indigene diskrimi- niert wird. Lange Zeit haben viele Peruaner indigene Produkte verschmäht, dabei versorgen sie uns mit allem, was wir brauchen“, erklärt sie. Heute kämpft Rocio nicht nur gegen den in Peru weit verbreiteten Machismo, sondern auch dafür, dass altes Wissen über Agrikultur und Ernährung anerkannt und geschätzt wird. Mit Erfolg: Ihr Restau- rant ist bei Touristen und wohlhabenderen Einhei- mischen sehr beliebt. Für Rocio eine Chance, Wissen zu vermitteln. Im Eingangsbereich hängen Töpfe mit einheimischen Pflanzen, daneben sind andine Grundnahrungsmittel ausgestellt, etwa Kartoffeln, Mais und Bohnen. Auf der Speisekarte finden sich neben peruani- schen Klassikern wie Meerschweinchen und veganen und vegetarischen Interpretationen wie Pilz-Ceviche auch zwei „Erfahrungen“. Die am Tisch in einem Steinmörser zubereitete Chilisoße uchucuta nach uraltem Rezept ist eine aufregende Mischung ver- schiedenster Geschmäcker: scharf, salzig, frisch und minzig; sie ist erweiterbar um Erdnüsse oder Kürbis- kerne. Bei der Kartoffelverkostung ist eine kleine Auswahl samt passender Soßen zu probieren. Ihre papas bezieht Rocio von einem kleinen Bauern aus dem Urubamba-Tal, unweit von Cusco. Um die 480 Sorten baut Julio Hancco an. „Viele davon waren

schon fast verschwunden, weil die Nachfrage zu gering ist. Ich zahle Julio einen Aufpreis, damit es sich lohnt, die seltenen Sorten anzubauen und zu be- wahren.“ Rocio spricht voller Hochachtung von Julios Arbeit und seiner Erfahrung. Er schmecke, sagt sie, ob und welchen Dünger – natürlich organisch – die Erde brauche. Bis unser Essen kommt, haben wir genug Zeit, auch die anderen Produzenten kennen- zulernen. Sie sind auf einer skizzierten Landkarte auf den Papieruntersetzern verewigt. „Der Restaurant- name Nuna Raymi ist Quechua und bedeutet ,Fest der Seele‘. Er steht für die Vision einer nahrhaften Küche voller Harmonie und Frieden. Was sich auch auf die Erde und die Zusammenarbeit mit den Produzenten bezieht, dank denen wir über die Küche unsere Iden- tität neu entdecken“, sagt Rocio. Ihre Worte im Ohr, machen wir uns am folgenden Tag auf ins Urubamba-Tal, auch Heiliges Tal der Inka genannt. „Jeden Tag besuchen Tausende Menschen Machu Picchu, aber die Leute hier im Urubamba-Tal hatten lange nichts davon“, sagt Francisca Qquerar Mayta, Gründerin der Ccaccaccollo-Women’s-Weaving- Kooperative. Die energische und herzliche Frau kniet in traditioneller Kleidung am Boden in einem zum Innenhof offenen Häuschen und wäscht Alpakawolle mit Sachaparacay, einer tensidhaltigen Wurzel. Dabei erzählt sie von der Idee, die sie Anfang der 2000er- Jahre hatte: Den Frauen im Heiligen Tal, deren Män- ner oft als Träger auf dem Inka-Trail arbeiten, wollte sie ein Einkommen verschaffen – und gleichzeitig das traditionelle Kunsthandwerk bewahren. Nach dem Waschen färbt sie die Wolle mit Pflanzen und dem Rot der Kaktus- (oder Cochenille-)Schild- läuse. Gesponnen wird später nebenher „beim Vieh- hüten, Gehen oder Tanzen – sogar, wenn wir unseren Freund küssen“. Lachend zeigt Francisca in den In- nenhof, wo ein gutes Dutzend Frauen auf dem Boden sitzt und spinnt, webt, strickt. In den traditionellen Mustern der Mützen, Pullover und Decken halten sie die Geschichten ihrer Kultur fest. Die Touristen, die inzwischen regelmäßig kommen – unter anderem über Agenturen, die den sogenann- ten Gemeindetourismus vermarkten –, bezahlen viel Geld für die hochwertigen Stücke. Die Einnahmen gehen in einen gemeinsamen Topf und werden dann aufgeteilt. „Das Interesse der Touristen wertet die Kultur unserer Gemeinde auf“, sagt Francisca. Was noch wichtiger ist: „Endlich haben wir Frauen Geld, über das wir selbst verfügen können. Das hat die Beziehung zwischen den Geschlechtern verändert. Wir sind jetzt gleichberechtigter.“ Während in Franciscas Generation viele nur Quechua sprechen, studieren ihre beiden Töchter in

Im Uhrzeigersinn (v. o. l.): Schienen zwischen Restaurants und kleinen Geschäften in Aguas Calientes, dem Ausgangs- ort für Exkursionen nach Machu Picchu. Ein Kellner bereitet die schmackhaf- te Chilisoße uchucuta im Restaurant Nuna Raymi zu. Gründerin Rocio Zuñi- ga vor ihrem Restaurant Nuna Raymi in Cusco.

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