NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY

Der letzte König von Talamanca

Auf den Spuren einer verlorenen Welt in Lateinamerika und des Geheimnisses der präkolumbianischen Kulturen von Costa Rica, die bislang kaum erforscht wurden. Dazu gehört auch Guayabo, die bedeutendste archäologische Stätte des Landes.

I rgendwo im Nirgendwo, mitten in Cos- ta Rica, steht das „Haus der Träume“: eine einfache, ornamental verzierte Holzhütte mit Lehmfußboden, aber voller fantasievoller Schnitzereien im Inneren. Die kleine Werkstatt im frucht- baren Orosi-Tal wurde vor Jahrzehnten von dem costa-ricanischen Landarbei- ter Macedonio Quesada am Rande einer Kaffeeplantage als Begegnungs- und Bildungsstätte gebaut. Ein Ort der Erin- nerungen, damit alte Traditionen nicht verloren gehen und das Gedenken an die

Ureinwohner wach bleibt. Die Träume finden im Gesicht geschnitzter Figuren ihren Ausdruck, von Leid bis Liebe, von Freude bis Angst – Skulpturen und Re- liefs als Seelenspiegel. Miguel, der Sohn des Landarbeiters, setzt diese Tradition fort. Auch er hat eine Vorliebe für Gravuren und ge- heime Botschaften. Das liege ihm im Blut, sagt er und verweist auf die jahr- tausendealte Tradition der Indigenen, Gravuren auf Felsen zu hinterlassen, so- genannte Petroglyphen. Im Gegensatz

zu Hieroglyphen stellen diese figür- lichen Kunstwerke keine Buchstaben dar, sondern komplette, verschlüsselte Botschaften. Vielleicht ist Miguel sogar einer der wenigen Nachfahren der Indigenen die- ser Region, die von den Spaniern syste- matisch und fast vollständig ausgerottet wurden, aber diese einzigartigen Kunst- werke hinterließen. Niemand kennt diese Hinterlassenschaft der präkolum- bianischen Einwohner dieser Region besser als Miguel.

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