IJAB Journal 1/2021: Internationer Austausch und Corona

Marie-Luise Dreber: Ja, der digitale Bereich ist auch damit gemeint. Aber wir müssen – wenn es um neue Zielgruppen geht – Austausch und Begegnung viel stärker an die jungen Menschen an- passen. Wir haben in Deutschland über Jahrzehnte gewachsene Strukturen und sehr genaue Vorstellungen davon, wie eine Jugendbegegnung oder ein Work- camp aussehen sollen. Das erreicht ja auch die Zielgruppen, die sich von diesen Rahmenbedingungen angezogen fühlen. Aber es gibt auch andere, die sich zum Beispiel von der Dauer einer Begegnung, der selbstständigen Anreise oder von den nötigen Sprachkenntnissen überfordert fühlen. Da müssen wir vielfältiger wer- den und wir brauchen je nach Zielgruppe auch mehr Betreuung. Natürlich gibt es solche Angebote, aber wir brauchen sie in der Fläche. Auch dafür braucht benö- tigt es die notwendigen Ressourcen.

profitieren können. Dafür brauchen wir neue niederschwellige Formate des Austauschs und wir brauchen endlich Erleichterungen in der Visaerteilung für alle jungen Menschen unabhängig von Herkunft und Bildungsstatus. IJAB journal: Sie haben die digitalen und hybriden Formate angesprochen. Können diese den physischen Aus- tausch ersetzen? Marie-Luise Dreber: Sie können den physischen Austausch nur ergänzen. Es ist eine völlig andere Erfahrung, wenn man ein anderes Land mit allen Sin- nen erleben kann – die Gerüche, den Geschmack des Essens, das Klima, die konkreten Lebensbedingungen der Men- schen, die persönliche Erfahrung in einer Gastfamilie. Das lässt sich nicht erset- zen. Trotzdem werden digitale Tools auch über die Pandemie hinaus Bestand haben. Sie helfen den Trägern, die Kon- takte zu ihren internationalen Partnern aufrechtzuerhalten und sie erweisen sich als sehr nützlich in der Vor- und Nachbereitung. Junge Menschen reisen viel besser vorbereitet in ein anderes Land, wenn sie ihr Gegenüber schon ein- mal online kennen gelernt haben. Das kann Unsicherheiten abbauen und neu- gierig machen. IJAB journal: Ist das mit den neuen Formaten gemeint, die Sie vorhin an- gesprochen haben?

terium auch hier Unterstützung, z. B. für die gemeinnützigen Träger im langfris- tigen Schüleraustausch, die bisher ohne Förderung auskommen mussten. Diese Programme, verbunden mit der Erhö- hung der Mittel im Kinder- und Jugend- plan, sind ein ermutigendes Zeichen. Aber das darf kein Strohfeuer sein. Ja, nach den Wahlen müssen die Förder- programme weiter ausgebaut werden. Ansonsten bleiben alle Ankündigungen in Wahlprogrammen und Koalitionsver- einbarungen hohl, die besagen, dass alle jungen Menschen Zugang zu internati- onalem Jugendaustausch haben sollen. Ohne Investitionen in Information und Beratung junger Menschen, in die Qua- lifizierung der Teamerinnen und Tea- mer sowie in die Austauschprogramme selbst werden wir auf dem Status quo weiter verharren.

Das Interview führte Christian Herrmann im Oktober 2021.

IJAB journal: Müssen die Förderpro- gramme also weiter ausgebaut werden?

Marie-Luise Dreber: Zunächst einmal bin ich froh, dass die Politik verstan- den hat, dass Kinder und Jugendliche unter der Coronapandemie in beson- derer Weise zu leiden hatten und dass sie Räume brauchen, um das nach- und aufzuholen, worauf sie verzichten mussten. Auch ist deutlich geworden, wie wichtig eine Strukturförderung der Träger ist. Mit dem Corona-Sonderpro- gramm leistet das Bundesjugendminis-

Kontakt: Marie-Luise Dreber Direktorin von IJAB dreber@ijab.de

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