Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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synthetischer Funktionen zwischen Regression und Wachsamkeit ; dieser Vorgang läßt Eigenschaften zu Tage treten, in denen wir den schöpferischen Prozeß erkennen“ (S. 391). Bellak zieht den Schluss, dass der Assoziationsprozess auf der oszillierenden Funktion des Ichs beruhe – der Fähigkeit, von der Regression im Dienst des Ichs (Kris) zu einer geschärften Selbstbeobachtung und einer Intensivierung der synthetischen Funktion zurückzuschwingen. Er formulierte eine Klassifizierung der Störungen des Assoziationsprozesses auf der Grundlage der Störungen der ersten Phase (der Regression) bzw. der zweiten Phase (der synthetischen Funktion) dieses Oszillierens. An seine früheren Studien über Affekte und Triebe im Prozess des freien Assoziierens anknüpfend, nahm Rapaport (1967) eine weitere wichtige Korrektur der Erklärung von Kausalität und Abfolge der Assoziationen vor: „Wenn in einer Kette freier Assoziationen eine Vorstellung auf die andere folgte, […] ist die kausale Beziehung häufig eine umgekehrte, also: ‚Die Ursache davon, deshalb danach‘“ (S. 216). In der Phase nach dem 2. Weltkrieg, der sogenannten „Hartmann-Ära“ (Bergmann 2000), stimulierte die Ich-Psychologie direkt und indirekt die kinderanalytischen Untersuchungen und Beobachtungsstudien von Winnicott (1953), Spitz (1965), Jacobson (1964) und Mahler (1975) und wurde ihrerseits durch sie bereichert. Das Resultat war ein vertieftes Verständnis des präödipalen Bereichs. Nach Hartmanns Tod im Jahr 1970 lag die Betonung mehr und mehr auf der Objektbeziehungstheorie, und die Ära des theoretischen Pluralismus begann (Blum 1998). In den nachfolgenden Generationen freudianischer Denker sind verschiedene, überlappende Entwicklungen zu verzeichnen: Da wären zunächst „metapsychologische Modifizierungen“, die das Strukturmodell und den psychischen Konflikt stärker in den Vordergrund rückten (Arlow & Brenner 1964), sowie eine erweiterte Sichtweise der Kompromissbildung (Brenner 1976, 1982, 2006). Jacob Arlow und Charles Brenner (Arlow & Brenner 1964; Brenner 1982) betonten die Psychoanalyse als eine Psychologie des unbewussten psychischen Konflikts, der zu Kompromissbildungen führe, die Wünsche, Unlust, Abwehr, moralische Gebote und realistische Erwägungen allesamt zu verschiedenen Graden repräsentierten. Die Nützlichkeit der freien Assoziation in der psychoanalytischen Situation besteht demzufolge darin, zu helfen, den je spezifischen Beitrag der einzelnen Konfliktkomponenten zu bestimmen (Arlow & Brenner 1964; Brenner 1982). Ein Beispiel dafür sind drei Empfehlungen für die Analyse hochgradig zwangsneurotischer Patienten: Wenn der Patient große Schwierigkeiten hat, frei zu sprechen, empfahlen sie, ihm dabei zu helfen, sich seines ängstlichen Widerstrebens, seine Gedanken zu offenbaren, bewusst zu werden. Sie verlangen von ihm nicht, die Grundregel zu befolgen, sondern untersuchen die Gründe und Motive seines Widerstandes. Und schließlich demonstrieren sie, dass derselbe Widerstand aus genau jenen Konflikten

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