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Bedeutsamkeit des entwicklungspsychologischen Fokus der Methode. Kris erläuterte die unterschiedlichen Verwendungen des Begriffs und unterschied zwischen der Freiheit von einer bewussten, zielgerichteten, gesteuerten Organisation der Gedanken, Gefühle und Empfindungen und der Freiheit von einer unbewussten Einschränkung des Widerstandes. Er verwies auch auf Unterschiede der Form, des Stils oder der Modalität, wie Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Empfindungen ausgedrückt werden, nämlich nicht nur durch verbale Assoziationen, sondern auch durch Tonfall, Tempo, Bewegungen und Gesten. Der freie Assoziationsprozess selbst verläuft von vorbewussten Schichten scheinbar singulärer Determinanten (z.B. einer lang vergessen geglaubten Angst) zu vielschichtigen Mustern konfligierender Determinanten, die tief in der unbewussten Schicht des psychischen Lebens begraben sind (und in multipel determinierten Übertragungen, Enactments, Träumen und Charaktermustern Ausdruck finden). Laut Kris (1982) ist der Patient einer von zwei Determinierern der Varianten und Formen freier Assoziatioen; der Analytiker ist der andere. Wenn Kris die Übertragung und Gegenübertragung unter Bezug auf die freien Assoziationen definiert, kommt er möglichen interaktiv-intersubjektiven Implikationen nahe: „Die Methode der freien Assoziation setzt seitens des Analytikers die Bereitschaft voraus, sich zu einem gewissen Grad in das irrationale Drama einbeziehen zu lassen. […] denn die Übertragung bewirkt eine Spannung zwischen dem Erleben eines Erwachsenen und dem Erleben eines Kindes […] sowohl im Analytiker als auch im Patienten. […] So gesehen, bilden die Assoziationen des Analytikers die Grundlage der Assoziation“ (S. 70). Der bekannte relationale Theoretiker Lewis (Lew) Aron (1990) hat diesen interaktiven Aspekt in seinem relationalen Zwei-Personen-Modell der freien Assoziationen später erweitert und spezifiziert. Diese Dimension kommt auch dem Verständnis der Reverie der nordamerikanischen bionianischen Denker James Grotstein (1995) und Lawrence Brown (2012) nahe. Was die Funktionen der freien Assoziationen betrifft – etwa die Erinnerung an Vergessenes, an vergessene Erfahrungen, den Abschluss der Trauerarbeit, die Auflösung von Verdichtungen, die Verbalisierung von Gedanken und Gefühlen, die Erhellung innerer Konflikte, die Klärung von Verwirrung und die Aufhebung von Desorientiertheit –, so betont Kris (1982) das gemeinsame Element, nämlich „die Unterstützung der Kontinuität“ (S. 14). Weil die Psychoanalyse gezeigt hat, dass zu den psychopathologischen Anteilen unweigerlich auch signifikante Einschränkungen der Assoziationsfreiheit zählen, beschreibt Kris „ein zuverlässiges Vorgehen zur Auflösung der Psychopathologie durch die Fokussierung auf Einschränkungen und Störungen der freien Assoziationen“ (S. 4). Neben weiteren Beiträgen entwickelte Kris (1985) auch das Konzept eines „divergenten Konflikts“, dessen Analyse mit dem Durcharbeiten der Widerstände gegen die Trauer um das verlorene Objekt einhergeht (eine der beiden Alternativen, für die es keinen Kompromiss geben kann). Dieses Durcharbeiten umfasst „wiederholte schmerzvolle Veränderungen der Assoziationen, die die Sehnsucht nach einer Seite und das innere Bedürfnis, die Realität des Verlustes des Anderen anzuerkennen, ausdrücken“ (S. 553). Kris’ bleibender Beitrag ist die Anwendung der freien Assoziationen als Grundlage des kurativen Prozesses der
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