Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Ich-PSYCHOLOGIE Tri-Regionaler Eintrag

Interregionales Editorial Board: Harold P. Blum (Nordamerika), Marco Conci (Europa) und Olga Santa Maria (Lateinamerika) Interregionaler koordinierender Co-Chair: Eva D. Papiasvili (Nordamerika)

I. EINLEITUNG UND EINLEITENDE DEFINITION

“Die Geschichte der Analyse brachte es mit sich, daß wir das Unbewußte vor dem Bewußten, das Verdrängte vor dem Ich kennenlernten. Heute steht die Psychologie des Ichs im Mittelpunkt der Forschung.” (Fenichel 1935, 94). “[…] ein gesunder Mensch muß die Fähigkeit haben, zu leiden und deprimiert zu sein. […] Wir wissen, daß erfolgreiche Anpassung zu Fehlanpassung führen kann […]. Aber umgekehrt kann Fehlanpassung zu erfolgreicher Anpassung warden. […] Hier schließt die Gesundheit deutlich pathologische Reaktionen als Mittel ihrer Verwirklichung mit ein.” (Hartmann 1939/1972, S. 22) Die Ich-Psychologie ist eine Weiterentwicklung, Erweiterung, Ausarbeitung und Differenzierung der von Sigmund Freud 1923 und 1926 formulierten Strukturtheorie (und entsprechenden zweiten Angsttheorie). Die Ich-Psychologie erkennt das angeborene (prä-konflikthafte) Funktionieren des Ichs an, richtet das Augenmerk aber in erster Linie auf die unbewussten Ich-Operationen in einem breiten Kontext der Entwicklung und psychischen Dynamik. Dieser umfasst entwicklungsbedingte (und klinische) Veränderungen und die vielfältigen Rollen, die das Ich im psychischen Konflikt spielt – indem es die Abwehr aktiviert, Entscheidungen trifft und Handlungen veranlasst, widersprüche Elemente des psychischen Lebens synthetisiert und die Verhältnisse in der inneren und (ihm selbst) äußerlichen Umwelt beurteilt und verhandelt. Die allmähliche Ergänzung der Freud’schen Metapsychologie und die Ausarbeitung genetischer, entwicklungspsychologischer und adaptiver Gesichtspunkte durch die postfreudianische Strukturtheorie/Ich-Psychologie (Hartmann 1939/1960; Rapaport und Gill 1959; A. Freud 1965) hat die klinische Theorie und Technik maßgeblich beeinflusst. Die Fortschritte der vergangenen Jahre ermöglichen ein tieferes Verständnis

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