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Erfahrung. Während dieser doppelte Aspekte von „Ich“ im Deutschen auf eine wichtige Ich-Eigenschaft verweist, brachten Stracheys englische Übersetzung und seine terminologische Entscheidung für „the ego“ anstelle von „I“ die Notwendigkeit mit sich, die Tendenzen des Ichs als mentale Struktur und psychische Instanz vom phänomenologischen, erfahrenden Selbst zu unterscheiden. Heinz Hartmanns (1950) schrittweise erfolgende konzeptuelle Unterscheidung zwischen Ich und Selbst sowie Selbst und Selbst-Repräsentanzen trug zwar zu weiteren theoretischen Entwicklungen bei, hat aber die Konzipierung der Beziehung zwischen den abstrakten, unpersönlichen Ich-Funktionen einerseits und der Subjektivität andererseits möglicherweise verkompliziert. Diesem Trend haben nicht nur französische Psychoanalytiker (Laplanche und Pontalis 1967/1973, S. 185f.), sondern auch einige spätere Ich-Psychologen / postfreudianische nordamerikanische Autoren, die den Doppelcharakter des Ichs bewahren und konzeptuell weiterentwickeln wollten (Jacobson 1964; Mahler 1979; Kernberg 1982), entschieden Widerstand geleistet. Auf der anderen Seite der Kontroverse steht der lateinamerikanische Autor Leon Grinberg, der Hartmanns Verdienst anerkennt, die Grundlagen für die Untersuchung der problematischen Aspekte des Freud’schen „Ichs“ geschaffen und die Unterscheidung zwischen dem „Ich“ als psychischem System und dem „Selbst“ als Konzept, das „einen selbst“ bezeichnet, getroffen zu haben (Grinberg et al. 1966, S. 239). Grinberg erwähnt auch einen wichtigen Vorläufer des Hartmann’schen Konzepts, nämlich einen Beitrag von Paul Federn (1928), der das Ich als Subjekt der Ich- Funktionen sowie als Objekt innerer Erfahrungen untersuchte. Grinberg zufolge besteht Hartmanns Beitrag darin, den Weg für Edith Jacobsons Formulierung der Selbstrepräsentanz – einem wichtigen Element in seinem eigenen Theoriesystem – bereitet zu haben. Konzeptuelle Unterschiede und Ähnlichkeiten infolge unterschiedlicher Übersetzungen: Ich-I-Ego-Le Moi-Yo-Eu Während die französische Übersetzung von Freuds Werk, die “Oeuvres Complètes de Freud/Psychanalyse – OCF/P” (Laplanche et al. 1989-2015) die Ambiguität von Ich/I bewahrt, gibt sie „das Ich“ zumeist mit „le moi“ wieder, einem subjektiveren, eher einem Selbst als dem defensiven realitätsorientierten „Ego“ der Ich- Psychologie entsprechenden Begriff. Dies hat zur Folge, dass weniger Raum (und geringere Notwendigkeit) bleibt, um Abwehrmechanismen zu thematisieren. Die einzige Ausnahme bildet Lacans (1966) psychotische Abwehr der „Verwerfung“ [forclusion]. Theoretisch ist „le moi“ ebenso sehr durch seine identifikatorische „Entfremdung“ im Begehren der Anderen definiert wie durch seine Anpassungsfähigkeit. Französische Analytiker hören alles, was Ich ist, als Hervorbringung des Unbewussten. Die Vorstellung einer konfliktfreien Sphäre gibt es
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