Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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das Baby/Kleinkind seine ersten Bindungen aufbaute. Dieses Material wird vom Fluss der freien Assoziationen nicht erfasst. Es kann Spuren hinterlassen haben und enkodiert sein, wird aber nicht erinnert, sondern u.U. intersubjektiv durch Enactmens statt durch freie Assoziationen kommuniziert. Ingesamt gesehen behauptet Blum, dass die freie Assoziation, im wörtlichen Sinn verstanden, vermutlich ein historisches Relikt ist. Gleichwohl hält er es nach wie vor für überaus wichtig, dass Patienten möglichst frei, mit Neugier und fähig zu Selbstbeobachtung und Reflexion und minimaler Einmischung seitens des Analytikers sprechen können. III. Bab. Ich-Funktionen und Ich-Stärke Als Ich-Operationen werden heute basale psychische Funktionen (autonome Ich- Funktionen), Kontroll- und Aufschubfähigkeiten (Ich-Stärke) und Abwehrmechanismen definiert. All diese Mechanismen operieren gewöhnlich außerhalb der bewussten Wahrnehmung, nämlich entweder dynamisch-unbewusst (Shulman & Reiser, 2004) oder vorbewusst (Kubie, 1974). Eine nuancierte Beurteilung der unbewussten Ich-Operationen ermöglicht es, die Technik der Behandlung von Patienten mit Beeinträchtigungen einer oder mehrerer Ich-Fähigkeiten individuell zu modifizieren. Die Beurteilung der Ätiologie (Konflikt oder Defizit) solcher Beeinträchtigungen erleichtert die Wahl der individualisierten Technik einschließlich der freien Assoziation. Heute geht man von 26 autonomen Ich-Funktionen aus, die Blackman (2003, 2010) zu diagnostischen Zwecken unter dem Aspekt von Defizit und/oder Hemmung gruppiert und zusammengefasst hat. Die höchste Relevanz für die Kalibrierung der Anleitung zur freien Assoziation und ihrer Verwendung besitzen Wahrnehmung und Erinnerung, Integrations- und Synthesefähigkeiten, Sekundärvorgang, Realitätsprüfung, Beurteilung von Gefahren und Antizipation ihrer Konsequenzen, die autoplastische und alloplastische Anpassung, Entwicklung vom Spiel zu Arbeit, Abstraktionsfähigkeit, beobachtendes Ich und exekutives Funktionieren. Die „Empathiefähigkeit“ (Buie 1981) ist für die freien Assoziationen ebenfalls relevant. Aufschub- und Kontrollfähigkeiten sind Ich-Stärken , die sich von den basalen Ich-Funktionen unterscheiden. Zu den Ich-Stärken, denen gewöhnlich die höchste Relevanz für die freien Assoziationen zugeschrieben werden, zählen Impulskontrolle (Befriedigungsaufschub), Affektregulation, Containing des Primärvorgangs, Spannungs- und Frustrationstoleranz, die Fähigkeit, Sublimierungskanäle zu entwickeln, die Phantasie als Probehandeln zu benutzen sowie die adaptive Regression im Dienst des Ichs [ a daptive r egression i n the s ervice of the e go, ARISE; Bellack 1989).

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