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Auch ein Mindestmaß an Über-Ich-Aktivität wird als wichtiger Indikator für die Nützlichkeit freier Assoziationen betrachtet, seit Kurt Eissler (1958) schrieb, dass Delinquenten auf die Aufforderung hin, frei zu assoziieren, zumeist unverkleidete Es- Abkömmlinge produzieren (primärprozesshafte Sex- und Gewaltphantasien). Die Konzeptualisierung der freien Assoziationen hat sich mit der Konzeptualisierung von Konflikt und Signalaffekten sowie mit der Spezifizierung der Ich-Fähigkeiten gewandelt: Die durch die Realität/ Realangst (Freud 1926d; Rangell 1976) und durch intrapsychischen Konflikt hervorgerufenen Affekte wurden später um den depressiven Affekt (Brenner 1982) und um die Wut (Blackman 2010) erweitert. Traumatische Affekte wie auch Signalaffekte können die Psyche zur Mobilisierung autonomer Ich-Funktionen veranlassen, um einen Konflikt zu bewältigen. In anderen Situationen kann die Psyche, mit Affekten konfrontiert, Abwehroperationen aktivieren, die einen bestimmten Aspekt des Affekts (Denken und Empfindung) oder des Konflikts aus dem Bewusstsein ausschließen (Brenner 1982). Abwehrmechanismen können zusammen mit autonomen Ich-Funktionen in den Dienst einer „adaptiven“ Lösung gestellt werden (Brenner 1975). Unter dem postfreudianischen strukturtheoretischen Blickwinkel (Ich- Psychologie und moderne Konflikttheorie) betrachtet, regt die Empfehlung des Analytikers, in Rückenlage auf der Couch frei zu assoziieren (Kravis 2018), Patienten mit angemessenen Abstraktions- und Integrationsfähigkeiten, Vertrauensfähigkeit, einem Mindestmaß an Über-Ich-Aktivität (Schuld- und/oder Schamgefühle) und einem nennenswerten Grad an Containing des Primärvorgangs zu einem nicht-linearen Zugang zum eigenen Unbewussten an. Unbewusste Konflikte, die Kompromissbildungen entstehen lassen, können nicht auf lineare Weise identifiziert werden. Sie müssen durch freie Assoziationen aufgespürt und dann dekonstruiert werden: „[…] die Abfolge der einzelnen Elemente des freien Assoziationsflusses spiegelt mit ihren minuziösen Veränderungen das Zusammenspiel der am Konflikt beteiligten Kräfte wider“ (Arlow 1979b, S. 83). Die unbewussten Phantasien des Patienten, die den freien Assoziationen zugrunde liegen (Arlow 1991; Papiasvili 1995), werden ihrerseits in Verbindung mit seinen je nach libidinöser Phase variierenden Gedanken über den eigenen Körper, die durch Erfahrungen mit anderen Menschen während der Kindheit, der Adoleszenz und im weiteren Leben verkompliziert werden, erzeugt (Blackman 2010, 10. Kap.). Bei Patienten mit früher Traumatisierung in einem Alter, in dem die Symbolisierungsfähigkeit noch nicht sicher verankert war, oder mit einer späteren Traumatisierung, die einen regressiven Zusammenbruch der Symbolisierungsfunktion verursacht hat, kann deren Beeinträchtigung zu repetitiven Reinszenierungen des Traumas und/oder zu Somatisierungen führen. Je nach Verfügbarkeit der übrigen Ich- Funktionen, z.B. der Realitätsprüfung, der Urteilsfähigkeit, Motivation und Impulskontrolle in zumindest einigen Funktionsbereichen und einer Objektkonstanz, die die Herstellung eines vertrauensvollen und tragfähigen Arbeitsbündnisses erlaubt,
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