Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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„kontrollierter Regression“ („Unintegriertheit ohne Desintegration“). Leo Bellak (1989) rekurrierte auf seine eigene frühere Arbeit und das Werk von Ernst Kris (Bellak 1961 [1961]; E. Kris 1936, 1943, 1944) und beschrieb das Konzept der „adaptiven Regression im Dienst des Ichs“ (ARISE). Damit bezeichnete er eine innere Flexibilität, die den Sekundärvorgang für den Primärvorgang öffnet und auf diese Weise Freude am Spiel, die Kommunikation mit kleinen Kindern, das Erzählen (und Verstehen) von Witzen, die Durchführung einer Psychoanalyse (D. Marcus 1997) und die Schaffung (und Würdigung) von Kunst sowie das Finden von Lösungen (auf allen Gebieten) ermöglicht. (Salvador Dali konnte sich zum Beispiel die massiven Durchbrüche seines Primärvorgangs für sein Malen zunutze machen, um neuartige Arrangements von rämlichen Beziehungen zu schaffen und durch ungewöhnliche Formen und Figuren seine verdichteten, symbolisierten Konflikte auf die Leinwand zu bringen.) Wie E. Kris vor ihm, erkennt auch Bellak (1961 [1961]) eine Parallele zwischen dem psychoanalytischen und und dem künstlerischen Schaffensprozess. Beide sind durch zwei ineinander übergehende oder aufeinander folgende Phasen charakterisiert: Phase I ist die Phase der „regressiven Entspannung der kognitiven Schärfe“. Sie entspricht der künstlerischen Inspirationsphase (Kris 1944) und ist durch Passivität, Kontemplation sowie eine Lockerung der zeitlichen und der räumlichen Rahmung charakterisiert. Darüber hinaus können Analysanden sich mit der Auflösung der Syntax u.U. visuelle Szenen und andere sensorische Aspekte von Erinnerungen und Phantasien, die vor ihrem inneren Auge auftauchen, ins Bewusstsein rufen. In dieser Phase nähert das freien Assoziiieren sich dem psychischen Mechanismus der Träume an. Bellak vergleicht seine II. Phase des „adaptiven und integrativ-synthetischen Ich- Geschehens“ mit der „aktiven Ausarbeitung“ in der Kunst (E. Kris 1944). Es kommt zu einer „Zunahme adaptiver und synthetischer Ich-Funktionen […]. Es ist bei den Assoziationen wie beim schöpferischen Prozeß des Künstlers: Die zeitweilig abgeschwächten Umrisse erlauben Fusionen neuer Gestalten und lassen vorher nicht wahrgenommene Beziehungen zwischen Vorstellungseinheiten zeitlicher, logischer und anderer Ordnungen in Erscheinung treten. Aus dem Oszillieren zwischen der Regression gewisser Ich-Funktionen und der Entfaltung anderer entsteht die Einsicht ” (Bellak 1961 [1961], S. 392). Die moderne postfreudianische Strukturtheorie (moderne Ich-Psychologie und moderne Konflikttheorie) trägt den Komplexitäten und feinen Unterschieden zwischen dem (für die analytische Arbeit unverzichtbaren) Zugang zum Primärvorgang via freie Assoziation mit dem Ziel, zu einem Verständnis des unbewussten Konflikts zu gelangen, und der (auf einem psychotischen Spektrum erfolgenden) Überwältigung durch den Primärvorgang zu Lasten der Realitätsprüfung an. Unter günstigen Umständen besteht eine der wichtigsten Konsequenzen der Methode der freien Assoziation darin, dass sie unweigerlich symbolische Wiederholungen in der Übertragung anregt, vertieft und bereichert (Freud 1914g; Strachey 1969; Brenner 2006; Blum 2016).

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