Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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1. „ Wenn die freie Assoziation befriedigend verläuft […] und wenn sich das Bewußtsein, das der Patient von seinem intrapsychischen Leben ebenso wie von seiner emotionalen Beziehung zum Analytiker hat, im Lauf der Zeit vertieft, dann kann die Interpretation nichtverbalen Verhaltens in den Sitzungen warten, bis sie auf natürliche Weise in die Themen der freien Assoziationen und der Übertragung aufgenommen werden kann.“ (S. 317) 2. Wenn nonverbales Verhalten und verbale freie Assoziationen einander ergänzen , kann das Material mit Blick auf die Dynamik von Impuls und Abwehr und den strukturellen intersystemischen Konflikt gedeutet werden. „Deshalb ist es möglich zu klären, welchem System – Ich, Überich oder Es – die vorherrschende Abwehrorganisation entspricht und aus welchem anderen System der Impuls stammt.“ (S. 318) 3. Wenn nonverbales Verhalten und verbale freie Assoziationen inkongruent sind , kann eine signifikante bewusste Unterdrückung der freien Assoziationen vorliegen. Vorrang hat dann die Deutungsarbeit, die auf das Verständnis der Motive dieser Unterdrückung sowie der relevanten Übertragungsimplikationen zielt. Die Deutung der Übertragung hilft dann gewöhnlich, den dominanten Affekt der Sitzung aufzudecken und zu klären, ob er in erster Linie mit der verbalen freien Assoziation oder mit nonverbalen Einstellungen zusammenhängt. Im Unterschied zu Reich (1933) und Gill (1982), aber im Einklang mit Blum (1980) postuliert Kernberg, dass bei Nichtübereinstimmung zwischen affektiver Dominanz und Übertragung der affektiven Dominanz in der Deutungsarbeit Vorrang einzuräumen sei, selbst wenn die affektive Besetzung Angelegenheiten außerhalb der Übertragung gilt. In anderen Situationen, in denen freie Assoziationen und nonverbales Verhalten inkongruent sind und die freien Assoziationen auf einer oberflächlichen Ebene bleiben, bleibt Reichs (1933) Empfehlung, die Abwehr vor dem Inhalt zu deuten, weiterhin gültig. Daher erhält auch die Untersuchung der Übertragungsimplikationen des schweren Agierens von Borderline-Patienten Vorrang (S. 322). 4. Was das psychoanalytische Setting betrifft, so können Kompromisslösungen in der Übertragung zwischen einer neiderfüllten Idealisierung und einer Entwertung des Analytikers die Form freier Assoziationen annehmen, die scheinbar zufriedenstellend fließen, ohne die Übertragungsbeziehung jedoch wirklich zu vertiefen. Dies kann ein Hinweis auf eine hochgradig gestörte Gesamtbeziehung zum Analytiker und zum Setting sein. Hier muss der Analytiker möglicherweise auf eine konstruktionsartige Deutung dieses chronischen Agierens eines „ Widerstandes gegen die Übertragung “ (Gill 1979) zurückgreifen. Auf die Konstruktion im „Hier und Jetzt“ kann eine genetische Rekonstruktion erst

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