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Beziehungen untereinander und mit den Trieben und dem Über-Ich hervor (Bellak, Hurvich und Gediman 1973). Er unterteilte die Ich-Funktionen in autonome, defensive (Abwehr) und synthetische/integrative Funktionen und erläuterte die Ich-Schwäche , die mit einer Beeinträchtigung der Ich-Funktionen einhergeht und sich individuell unterschiedlich ausbildet. Ein Beispiel für die konzeptuelle Ausarbeitung der Ich- Funktionen ist die Realitätsprüfung , die Freud schon 1895 identifiziert hatte (siehe unten). Darüber hinaus unterschied Hartmann die Ich-Funktionen nach ihrer primären oder sekundären Autonomie . Primär autonome Ich-Funktionen sind u.a. Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, Lernen, Wahrnehmung, Motorik und Intentionalität. Sekundär autonome Funktionen entstehen oft zunächst als Abwehr (und hängen deshalb mit Konflikt zusammen). Sie erhalten ihren adaptiven Charakter durch einen Funktionswandel und zeigen sich als gewohnheitsmäßige Muster, erlernte komplexe Fertigkeiten, Arbeitsroutinen, Hobbys und Interessen. Hartmann betonte auch, dass diese Autonomie und Freiheit von intrapsychischem Konflikt relativ frei seien und dass solche Tendenzen durch eine erneute Vertrieblichung [re- instinctualization] später abermals in intersystemische Konflikte hineingezogen werden können. In Fällen intrasystemischer Konflikte geraten verschiedene Ich-Funktionen mit Bezug auf ihre Richtungen oder Ziele in Konflikt; intrasystemische Konflikte können auch zwischen defensiven und nicht-defensiven Ich-Aktivitäten auftreten. Die von Hartmann beschriebene sekundäre Autonomie wurde als Resultat eines Funktionswandels verstanden. Gerade so, wie eine zunehmende Neutralisierung der Triebe (Desexualisierung der Libido, Entaggressivierung, Sublimierung) dem Ich die Weiterentwicklung durch sekundäre Autonomie ermöglicht, führt eine regressive Entneutralisierung zur Re-Vertrieblichung (Libinisierung, Sexualisierung, Aggressivierung) der Ich-Funktionen und zu einem Verlust der Autonomie und Realitätsanpassung sowie zu einer Einschränkung der Kreativität. Allerdings ist die Ich-Struktur nicht das einzige Thema, zu dem Hartmann wichtige, originäre Beiträge geleistet hat. Die Bandbreite seiner Arbeiten erstreckt sich über das gesamte Feld der Psychoanalyse. So gelangte er beispielsweise auf dem Gebiet der psychoanalytischen Triebtheorie an sich zu zahlreichen neuen Erkenntnissen (Hartmann 1948/1964). Aufgrund der langen Hilflosigkeit des menschlichen Säuglings entwickeln sich das frühe Ich und das Es aus einer undifferenzierten Phase . Dieser Prozess der strukturellen Differenzierung ist laut Hartmann die Hauptursache der Unterschiede zwischen dem Instinktverhalten niedriger Tiere und dem Verhalten des Menschen. Viele Funktionen, die im Falle der Tiere die Instinkte erfüllen, werden beim Menschen zu Ich-Funktionen. Hartmann arbeitet Freuds (1940a [1938]) Anerkennung einer autonomen Ich- Entwicklung weiter aus und betont, dass im Anschluss an die Ausdifferenzierung der drei psychischen Systeme jedes von ihnen (seine eigene) psychische Energie freisetzt.
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